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Sensibel zuschlagen

Klassischer Großstadtkrimi mit Männern mittendrin, antrainiertem Muskelfleisch in Nebenrollen und außerdem noch jeder Menge Credibility im Stil der frühen Scorsese-Filme: „Kiss of Death“ von Barbet Schroeder  ■ Von Harald Fricke

Die Kamera hat alles im Blick. Minutenlang kreist sie vom Kran aus über einem endlos sich von Queens bis Brooklyn entlangziehenden Schrottplatz, zoomt stapelweise Cadillac-Wracks heran und fährt Wände voller Radkappen aus Chrom ab. Die Dinge scheinen trotz des zerklüfteten Ambientes ineinanderzufließen. Der Industrieabfall bekommt HipHop untergelegt, wozu dann auch die Rahmenhandlung von „Kiss of Death“ paßt: Es geht um New Yorks Old- School-Mafia, die zwar traditionell mit Drogen handelt, vor allem aber Autos verschiebt – ein Markt, der mittlerweile Milliarden abwirft.

Das Stilleben der Unterwelt ist Barbet Schroeder vollkommen gelungen. Wenn der Regisseur von „Barfly“ – eine Kneipen-Tour-de- force in Anlehnung an Bukowskis Lebensgeschichte – seine Filmarbeit als hyperrealistisch beschreibt, dann meint er nicht nur die detailgenauen Drehs in Strip-Discos mit ihrem „Schneller Wohnen“-Mobiliar. Jede menschliche Regung, jeder wutentbrannte Faustschlag kommt präzise und von Herzen. Selbst der psychopathisch agierende Nicholas Cage ist als vereinsamtes Geschöpf in seinem ziellos umherirrenden Wahnsinn liebevoll und empfindsam portraitiert. Nachdem er einen Widersacher erschossen hat, klagt er über seine Metall-Allergie, die ihn zwingt, mit Plastikgeschirr zu essen.

Wie im Film Noir geraten auch in „Kiss of Death“ allmählich die Fronten durcheinander. Das FBI entpuppt sich als Häuflein wirr ermittelnder Dilettanten, der Staatsanwalt ist korrupt, und mittendrin kämpft der charmant irisch dreinblickende TV-Serienheld aus „NYPD Blue“, David Caruso, gegen den Sumpf. Für Schroeder ist Caruso „der neue James Cagney“, ein „sehr männlicher, aggressiver, brutaler Typ“, der seine „New Yorker Wurzeln nicht verleugnen kann“ – was dem Film die Street- Credibility gibt, von der auch frühe Scorsese-Filme gelebt haben.

Jimmy Kilmartin hat sich als kleinkrimineller Autodieb glücklich wieder in seiner Kleinfamilie eingelebt. Nur einer alten Verpflichtung folgend heuert er für eine nächtliche Verschiebe-Tour als Fahrer an, die ebenso schnell wie desaströs endet: Samuel L. Jackson, hier ein „bad motherfuckin'“ Vollzugsbeamter im beigefarbenen Anzug, bekommt eine Kugel durch die Tränendrüse geschossen und tropft fortan aus dem rechten Auge. Daß Jimmy den Namen seines Auftraggebers nicht verrät, bringt ihm ein paar Jahre Knast und seiner Frau einen Job auf dem Schrottplatz. Dort fängt sie zu trinken an, läßt sich vom besten Freund ihres weggesperrten Mannes verführen und fährt sich dann zu Tode.

Nachdem dieses Drama kurz und bündig abgehakt ist, widmet sich Schroeder der Konstellation des klassischen Großstadt-Krimis: Wie verhalten sich zwei Männer zueinander, von denen dem einen Existenz wenig bedeutet, während der andere sich nur mehr nach einem geregelten Leben sehnt. Zunächst einmal ergänzen sie sich. Jimmy wird als V-Mann in die Mafia eingeschleust und steigt wegen seiner desperadohaften Unbeirrbarkeit zum nächsten Vertrauten von Little Junior auf. Nicholas Cage hat diese Rolle ernstgenommen und sich sehr viel Muskelfleisch antrainiert, weshalb er in Nachtclubs Auszieh-Mädchen statt Gewichte stemmt. Traurig blickt er dabei auf seinen Vater, der an Lungenverschleimung leidet und bald sterben wird. Little Junior hat dieselbe Krankheit.

Vielleicht ist es diese Einsamkeit vor dem Tod, die ihn gesprächig macht. Manchmal nimmt er Jimmy in seinem Porsche mit, manchmal geht er ihm an die Gurgel. Und zwischen all den Gefühlsstauungen verrät er, daß er Vater immer am liebsten hatte und die ganze Muskulatur bloß Ersatz ist. Jimmy zeichnet die Beichten auf, der Staatsanwalt bekommt die Bänder, und Little Junior muß im Knast mit Alu-Löffeln essen.

Selbst wenn sich „Kiss of Death“ Story-Elemente vom Film Noir ausleiht und in kurzen Clips „The Driver“ und „French Connection“ zitiert, geht es Schroeder nicht um das Verdoppeln großer Vorbilder. In seinem Remake des 1947er-Originals (mit Richard Widmark als hysterischem Killer) überwiegt der Konflikt romantischer Seelen gegenüber den wenigen, dafür unangenehm eindringlichen Box-Einlagen. Es sagt auch etwas über die Personaldichte aus, mit der sich derzeit im amerikanischen Film unabhängig vom Genre Rollen besetzen lassen. Samuel L. Jackson spielt Bullen ebenso galant wie Killer, Cage trägt selbst als Ungeheuer komische Züge, und wenn Caruso am Ende seine Tochter in den Arm nimmt, möchte man das Seinige dazu tun.

„Kiss of Death“. Regie: Barbet Schroeder; mit David Caruso, Nicholas Cage, Samuel L. Jackson. 100 Min. USA 1994

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