piwik no script img

„Wohin wackelt der Pudding SPD?“

Die Bremer Sozis: vor der Abstimmung über die kommende Koalition verunsichert und resigniert  ■ Von Jochen Grabler

Bremen (taz) – „Schlapp, resigniert, verunsichert“ – wer in diesen Tagen mit Bremer SozialdemokratInnen redet, der wird von Mitleid geschüttelt. Die Hansestadt-SPD versinkt nach dem Erdrutsch bei der Bürgerschaftswahl am 16. Mai in tiefer Depression. Sie dürfte es eigentlich nicht. Denn am Sonntag werden alle 9.500 Bremer GenossInnen zu den Parteiurnen gerufen, um eine Entscheidung zu treffen: über den Bürgermeisterkandidaten und die kommende Koalition. Rot-Grün oder Rot-Schwarz: Henning Scherf, seit siebzehn Jahren in der Landesregierung, oder Hans-Helmut Euler, bis vor sieben Jahren Chef der Senatskanzlei, nun freier Fernsehunternehmer. Am Montag soll ein Landesparteitag das Mitgliedervotum absegnen, am Dienstag können dann die Koalitionsverhandlungen losgehen. Mit wem verhandelt werden soll, ist alles andere als gewiß. Oder, wie es der grüne Spitzenkandidat Ralf Fücks ausdrückt: „Wohin wackelt der Pudding SPD?“

Seit dem Rücktritt des Wahlverlierers Klaus Wedemeier starrt die Stadt auf die Sozialdemokraten und wartet, daß endlich etwas passiert. Doch was zu einem Kräftemessen zwischen profilierten Kandidaten und Programmen hätte werden können, das geriet zur Langeweileveranstaltung, so lustlos, daß einige SpitzengenossInnen schon Sorge haben, noch nicht einmal die nötige Zahl der Parteimitglieder an die Urnen zu bekommen. Mindestens ein Fünftel sollen ihre Stimme abgeben, hat sich der Parteivorstand vorgenommen.

Die Motivation ist um so schwerer, als niemand sicher sein kann, daß sich die SPD-Bürgerschaftsabgeordneten auch tatsächlich an das Votum der Basis halten. Was in Frankfurt die „Schweine“, das sind in Bremen die „Heckenschützen“. Schon in der letzten Legislaturperiode hatten SPD-ParlamentarierInnen dutzendweise gegen die eigene Koalition gestimmt – ohne daß sie sich je dazu bekannt hätten.

Vor acht Jahren ist die Bremer SPD noch mit einer satten absoluten Mehrheit aus den Wahlen hervorgegangen. Aber dann ging's bergab: 1991 rutschte die Partei auf 39 Prozent, und bei den vorgezogenen Neuwahlen im Mai, nach dem Bruch der Ampelkoalition, lag sie mit 33 Prozent nur noch hauchdünn vor der CDU.

Nach dem ersten Wahlschock hat die Partei noch getaumelt, jetzt kam der Niederschlag. Wie in vielen deutschen Großstädten war auch in Bremen das sozialdemokratische Profil nur noch mit viel Anstrengung zu erkennen. Und doch bleibt die Partei in der Verantwortung. Allein Schwarz-Grün könnte die SPD in die Opposition schicken, doch dazu sind weder CDU noch Grüne bereit. Also bleiben nur zwei Möglichkeiten: Rot-Grün mit der knappsten aller Mehrheiten, 51 von 100 Sitzen, oder Rot-Schwarz mit satten 74.

Um beide Optionen wird in Bremen tatsächlich gestritten. Allerdings vor allem außerhalb der SPD. Eine beeindruckende Zahl von BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen und eine breite rot-grüne Wählerinitiative wollen die SPD in ein Bündnis mit Grün schieben. Dagegen hält die mächtige Handelskammer im Verein mit einer Handvoll prominenter Altgenossen. Selbst der Altbürgermeister und mutige EU-Verwalter von Mostar, Hans Koschnick, hat sich bei einer Stippvisite eingemischt: Rot-Grün, das sei für Bremen eine „tödliche Gefahr“.

In der Stadt wird debattiert, doch wer dachte, daß sich das auch bei den vielen Parteiversammlungen innerhalb der SPD wiederfinden würde, der sah sich getäuscht. „Mäßigen Beifall für die beiden Kandidaten“ gab es bei der Auftaktversammlung im Bremer Norden Ende letzter Woche. Und daran änderte sich auch in dieser Woche nichts. Kein Wunder: Die größte Differenz zwischen Euler und Scherf ist eine taktische. Euler ist für Rot-Schwarz, weil er die Basis für eine Koalition mit den Grünen für zu schwach hält und weil er angesichts der harten Sparentscheidungen, vor denen das finanziell chronisch schwindsüchtige Bremen steht, die Konservativen ins Boot holen will. Für Scherf ist dagegen die Große Koalition ein „resignatives Konzept“, er setzt auf eine „rot-grüne Aufbruchstimmung“. Aber sollte sich die Basis einerseits für ihn, andererseits aber für eine große Koalition entscheiden, dann steht er trotzdem zur Verfügung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen