Liebeszimmer noch Ausnahme

■ Symposium in Hannover zum Tabuthema Behinderte und Sexualität

„Behinderte sind keine geschlechtslosen Menschen. Sie haben genauso sexuelle Bedürfnisse wie Nicht-Behinderte.“ Der körperlich schwer behinderte Helmut Tank ist verärgert: Viel zu wenig werde über die Probleme von Behinderten mit Liebe, Partnerschaft und Sexualität diskutiert. Auf einem Symposium, das heute in Hannover stattfindet, wollen Behinderte und Nichtbehinderte an dem Tabu „Behinderte Liebe“ rütteln.

Für eine Liebesbeziehung gibt es im Behindertenwohnheim keine Privat- und Intimssphäre. Nach wie vor sind kaum Einzel- und Doppelzimmer vorhanden, in die sich Paare zurückziehen können. „Das ist tödlich für jede Beziehung“, kritisiert Tank, der seit über zwanzig Jahren in einem Pflegeheim lebt. Mit 17 Jahren erkrankte er an Kinderlähmung und sitzt seitdem im Rollstuhl. Übernachtet ein Partner von außerhalb im Heim, gibt es unter MitarbeiterInnen und HeimbewohnerInnen immer Gerede und Eifersüchteleien, weiß der 52jährige aus Erfahrung. Seit einigen Jahren kann er seine Zimmertür abschließen und empfindet dies als großen Fortschritt.

Immer wieder taucht bei Betroffenen die Frage auf, ob MitarbeiterInnen im Heim Behinderte beim Ausleben ihrer Sexualität unterstützen sollen. Bislang entscheiden BetreuerInnen dies selbst. In den Niederlanden dagegen ist es nach Angaben des niedersächsischen Sozialministeriums bereits üblich, daß ausgewählte Pfleger Behinderten während des Geschlechtsverkehrs in sogenannten Liebeszimmern helfen. Auch in Dänemark und in Norwegen gibt es einjährige Spezialausbildungen zum „Sexualhelfer“.

In deutschen Einrichtungen sind diese Liebeszimmer noch die Ausnahme. In der Nähe von Bremerhaven gibt es in einem Wohnheim ein mit Schaumstoff ausgekleidetes Zimmer für ein spastisch gelähmtes Paar. Beim Bau neuer Heime lege das Land großen Wert auf die Einrichtung von Einzelzimmern und sogenannten Paarzimmern, sagt eine Sprecherin des niedersächsischen Behinderten-beauftragten Karl Finke.

Den Schritt nach draußen wagen nur wenige Paare – gleichgültig, ob beide behindert sind oder nur einer. In der Öffentlichkeit werden diese Verhältnisse immer noch nicht akzeptiert, meint Ralf Büsing vom Arbeitskreis Selbstbestimmtes Leben. Nicht selten fühlten sich solche Paare außerhalb des Wohnheims diskriminiert. Als Beispiel nennt Büsing einen Pfarrer in München, der sich weigerte, ein behindertes Paar zu trauen. Und noch immer empfehlen Frauenärzte behinderten Frauen, die sich über Verhütungsmethoden informieren möchten, nur eine Sterilisation.

Birgit Reichert (dpa)