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Mottenkiste wird evakuiert

■ Das verseuchte Magazin des Bremer Überseemuseums am Breitenweg wird leergeräumt und abgerissen / 100.000 Objekte ziehen um ins Zwischenlager

Gestern morgen am Bahnhof: Die größte Mottenkiste Bremens öffnet für einen Moment ihre Pforten. Kräftige junge Männer in weißer Schutzkleidung, übers Gesicht monströse „gebläseunterstützte“ Atemschutzmasken gezogen, schieben 17 Meter lange, uralte, tonnenschwere Südseeboote aus dem maroden, pestizidverseuchten Magazin des Überseemuseums ins Freie. Ein Kranwagen hebt die Boote auf einen LKW, der schafft die guten Stücke ins 50 Meter entfernte Überseemuseum.

Es ist nicht mehr zu bezweifeln: Die Evakuierung der ehemaligen Staatsbibliothek, in der die ca. 100.000 Objekte umfassende völkerkundliche Sammlung des Überseemuseums seit 20 Jahren notdürftig gelagert ist, hat begonnen. Die untere Etage, der „Lesesaal“, ist in der vergangenen Woche leergeräumt worden. In den kommenden Monaten werden die gesamten Magazinbestände verpackt und in ein Zwischenlager geschafft. Und wenn die neue Bremer Regierung verfährt, wie die alte geplant hat, wird die alte Staatsbibliothek Anfang –96 abgerissen, um Platz für das neue Magazin und das Großkino „Cinemaxx“ zu schaffen.

„Früher“, weiß Völkerkundler Peter Junge, „hat man die Boote aus Eisenholz mit 25 Mann geschleppt.“ Heute hat man „eine gute Million“ für den Umzug zur Verfügung. „Das Teure allerdings ist das Verpacken.“ In Bremen wurde jahrelang üppig gegiftet im Magazin, gegen Motten und „Museumskäfer“ – was man da rausholt, „gast“ noch lange und muß z.T eingeschweißt werden.

Das erste kleine Zwischenlager ist der Keller des Überseemuseums selbst. Hier war früher das legendäre Aquarium untergebracht – heute eine Art stillgelegter Baustelle; die Wände sind immer noch mit dem typischen Auariumgrün gestrichen. Die Ecke, in der früher die Krokodile hausten, ist heute noch naß und wurde eingemauert. So wurde der Keller aus konservatorischer Sicht brauchbar.

Großen Appetit macht, was hier schon gestapelt ist: eine Hütte aus Samoa (zerlegt); ein irakisches Sumpfboot, das aussieht wie ein übergroßer Obstkorb, abgedichtet mit Teer, der in dem ölreichen Land schon 2000 v.Chr. zur Verfügung stand; ein guatemaltekischer Maisspeicher (zerlegt zu einem Haufen Bambusrohre und Flechtwerk, alles einzeln numeriert); ein mannshoher Käfig für irgendwas; wunderschöne Einbäume mit geschnitzten Krokodilköpfen am Bug.

In einer dunklen Ecke stehen mannshohe Holzkisten nebeneinander, darinnen jene beliebten Gipsfiguren, die die neuen museumspädagogischen Ansätze der 70er den Blicken des Bremer Publikums entzogen haben: Krieger, Jäger, Mütter und Kinder aus aller Herren Länder. Zum Beispiel jene glückliche Hererogruppe, die für das Museum angefertigt wurde, nachdem die Hereros zum großen Teil von ihren Kolonialherren massakriert worden waren.

1997, so sehen die Planungen bis heute aus, können auch die Zwischenlager wieder aufgelöst werden. Dann soll der Kino/Magazin-Komplex fertig sein. Und die Bremer werden endlich wieder wissen, wohin am Sonntagmorgen – ins neue Magazin, das dann keine Mottenkiste mehr, sondern eine Schatzkiste sein wird. In der 30.000 Objekte umfassenden „öffentlichen Studiensammlung“ wird man nach Herzenslust bummeln und staunen können. Fast wie früher, als man noch von „Kolonialmuseum“ sprach. BuS

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