Tuten & Blasen: Klappern als Handwerk
■ Musik im Laborzustand – das 24. Moers Festival im Regen
Ein Platzregen setzt ein, kurz bevor Famoudou Don Moye das 24. Moers Festival eröffnet. „Ob es Backsteine regnet oder die Sonne herunterknallt, ihr seid hier!“, begrüßt er optimistisch das Publikum.
Er muß es wissen, der Perkussionist des legendären Art Ensemble of Chicago, mit dem Moye vor 18 Jahren zum ersten Mal hier auftrat. Er verkörpert einen Aspekt der Avantgarde jener Tage: den Anspruch, Tradition und Improvisation zu verbinden. Mit der Abidjan-Verbindung Sun Percussion Summit, einem Trommel-, Stimm- und Flötenensemble, gelingt ihm die Vermittlung nicht (immer). Zu unentschlossen tüftelt er an komplexen, traditionellen Strukturen.
Als Avantgardisten darf man getrost auch Horace Tapscott bezeichnen, der mit seinem Pan African People's Arkestra über 400 talentierten, aber mittellosen Jugendlichen aus Los Angeles einen Start in eine professionelle Karriere gab. In Moers stellte er mit einer All-Star Band eine furiose Fassung des Blues-Klassikers „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ vor.
Das afrikanische Percussion- Arsenal eines Don Moye findet auch im Freizeitpark von Moers seine Entsprechung: in den Händen vieler Amateure und in den Auslagen der Stände am Wegesrand. Hancocks Dance-Mix kann man auch nachts in einer der zahlreichen privat organisierten Zeltdiscos hören, und Tapscotts musikpädagogische Orchesterarbeit findet ihr Äquivalent im Workshop des unermüdlichen Kölner Schlagzeugers und Orchesterleiters Frank Köllges, der jedes Jahr etwa 50 junge Musiker im öffentlich zugänglichen Probenzelt auf einen gemeinsamen Auftritt vorbereitet.
Das Herzstück des Festivals heißt auch im 24. Jahr Jazz, auch wenn Rock- und Ethno-Musik selbstverständliche Programmpunkte wurden. Mit der 25. Jubiläumsveranstaltung läuft allerdings der Vertrag des künstlerischen Leiters Burkhard Hennen aus.
Es gibt Anzeichen dafür, daß die Stadt Moers kein Interesse mehr an seiner Konzeption hat und ein Pop-Festival installieren möchte. Nun gehört Klappern zum Ritual vor jeder Vertragsverlängerung, aber das wirkliche Problem der Stadt, abgesehen von den leeren Kassen: Die Desintegration des ausufernden Camping- und Geschäftsbetriebs (weit weniger als die Hälfte der jährlich über 40.000 BesucherInnen des Parks gehen zu den Konzerten) läßt sich auch mit dem Verzicht auf Jazz nicht lösen.
Vernon Reid, durch progressive Rockmusik bekanntgeworden, ist drei Monate nach der Auflösung von Living Color mit seinem neuen Projekt Masque schon wieder in der Lage, eine äußerst spannende Session mit spannenden Improvisationsanteilen (Don Byron cl. und Reid g.), treffsicheren Loops und Breaks des DJ Logic und einem leicht sphärischen Sound, erzeugt durch ein spezialgefertiges Minikeyboard, zu zeigen. Das ist kein Black Rock nach Black Jazz, auch kein Rap. Es ist zunächst mal ein Experiment mit ungewissem Ausgang.
Schwer vermarktbare, vorpopuläre Musik zu präsentieren, ist ein kaum zu schmälerndes Verdienst des Moerser Festivals; die reifende Avantgarde der Post- Bop Ära mit den Jungen Wilden der Post-Rock-Generation vorzustellen, ein weiteres.
Zu den letzteren gehört mit Sicherheit der Franko-Kanadier Jean Derome mit seinen „Gefährlichen Zombies“, der nach einem unglaublich naiv gespielten, durchaus markttauglichen Calypso seinem Publikum ungerührt mitteilt: „Jetzt kommen wir zum kommerziellen Tiefpunkt unseres Konzerts“, um gleich darauf in die befremdliche Geräuschwelt eines anscheinend gemeinsamen Alptraums der Combo einzustimmen. Oder die Berliner Band Frigg, die abseits von gängigen Etiketten irgendwo zwischen Theatermusik und Rhythm 'n' Blues anzusiedeln ist und mit viel Beifall bedacht wurde.
Das Moers Festival war im 24. Jahr mit 16.000 bis 18.000 Konzerthörern gut besucht, die African Dance Night, diesmal mit Salif Keita und Cheb Mami, wie so oft zuvor ausverkauft, und der WDR hat wieder seine Archive neu bestücken können.
Business as usual? Nein, nur die ökonomische Basis für eines der letzten großen Festivals, das immer wieder Einblicke zuläßt in den Laborzustand einer Kunst, bevor sie als ein perfektes Produkt zum Verkauf steht. Peter Thomé
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