■ Ökolumne: Quallen und Umweltpolitiker Von Ralf Sotscheck
Er soll schon als Kind so gewesen sein: Immer wenn John Gummer in der Vorschule dabei ertappt wurde, wie er etwas anstellte, zeigte er auf die anderen Kinder und schwor, daß die noch viel schlimmer seien. Inzwischen ist Gummer britischer Umweltminister, aber den schlechten Charakterzug aus frühester Jugend hat er beibehalten.
Bei der vierten Nordseekonferenz im dänischen Esbjerg warf man Gummer vor, daß sein Land die größte Umweltsau sei, was die Nordsee angeht: Ob Schwermetalle oder organische Substanzen, ob Klärschlamm, Öl oder gleich komplette Bohrinseln – wenn es darum geht, das Nordmeer in eine Abwasserkloake zu verwandeln, liegt Großbritannien in jedem Fall vorne.
Doch Gummer ging in die Offensive: Schuld am üblen Zustand der Nordsee seien in Wirklichkeit die Fischereiministerien der anderen Länder. Die würden so hohe Fangquoten genehmigen, daß die Nordsee in fünf Jahren leergefischt sein werde. Anstelle von Kabeljau, so lamentierte Naturschützer Gummer, hätten wir dann ein Ökosystem, das von Quallen dominiert werde.
Das Schicksal, von Quallen dominiert zu sein, hat die britische Umweltpolitik freiliche heute offenbar schon ereilt. Der weichköpfige Minister monierte, daß sich die Konferenz auf eine abgeschwächte Erklärung geeinigt habe, in der die Fischereiminister nicht angeprangert werden. Auf die Idee, daß bei dem Fischsterben möglicherweise auch andere Faktoren eine Rolle spielen, kam er nicht – jedenfalls gab er es nicht zu.
Ungetrübt von jedem Sachverstand, weigert sich Gummer, die Nordsee als Schutzgebiet einzustufen. In Großbritannien gelten eher die Privatunternehmer als schützenswerte Spezies – allen voran die Chefs der frisch privatisierten Wasserwerke. Und die müßten vermutlich einen Teil der umgerechnet rund fünf Milliarden Mark aufbringen, die nötig wären, um die britische Einleitung von Nitraten ins Meer zu reduzieren. Ohne diese Reduzierung nimmt der Algenwuchs zu, der Sauerstoffgehalt ab – und die Fische ersticken.
Aber, befindet Gummer, das gehe Großbritannien nichts an: Algenwuchs gibt es nur in der östlichen Nordsee, vor britischen Küsten sei alles in Butter. Pilatus Gummers bequeme Position beim Händewaschen ist nun ausgerechnet durch Wissenschaftler der Universität Aberdeen untergraben worden: Vor allem im Norden der britischen Ostküste blüht das Meer, und die biologischen Veränderungen seien nicht mehr zu übersehen.
Die freie Marktwirtschaft wird's schon richten, meint da Gummer. Dabei ist es gerade diese Marktwirtschaft und das Vertrauen auf freiwillige Schadstoffbegrenzungen, die den Schlamassel in der Nordsee anrichten. Natürlich erscheint es wirtschaftlich sinnvoll, Ölbohrinseln und Versorgungsplattformen wie die Brent Spar am Ende der Betriebszeit im Meer zu versenken – wenn man Manager eines Ölkonzerns ist. Dann machen auch die ölhaltigen Bohrspülungen Sinn, die die Konzerne zum Schmieren der Bohrer einsetzen. Norwegische Meeresbiologen haben gerade herausgefunden, daß jedes Bohrloch rund acht Quadratkilometer Meersboden mit Kohlenwasserstoffen verdreckt. Von Fischen keine Spur, von freiwilligen Schadstoffbegrenzungen kraft der Gesetze der freien Marktwirtschaft ebensowenig.
Gummer ist von schlichtem Gemüt. Das hat er eindrucksvoll bewiesen, als er Ende der achtziger Jahre seine damals dreijährige Tochter vor surrender Kamera mit einem Hamburger zwangsernähren wollte, um die Unbedenklichkeit britischen Rindfleisches zu demonstrieren. Das Kleinkind, offenbar mit einem gesunden Mißtrauen gegenüber Politikern gesegnet, lief beim Anblick des fleischbrötchenschwingenden Vaters weinend davon, so daß Gummer den Leckerbissen selbst verspeisen mußte.
Es ist bedauerlich, daß ihm in Esbjerg nun die Phantasie für einen ähnlich genialen PR-Trick abgeht. Dabei wäre es so einfach: Er müßte sich lediglich eine Flasche Nordseewasser hinter die Binde kippen – frisch abgefüllt an der Brent Spar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen