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„Mensch, schau dir das nur an ...“

■ Den Italienern sind die immer neuen Flottenverbände in der Adria und die Nato-Soldaten an der Küste ziemlich unheimlich. Ein Flug über Stiefelsporn und -absatz

Der Wechsel vom Auf- zum Abwind beim Ausdrehen von der Küste Apuliens in der Höhe des „Stiefelsporns“ ist in der kleinen Cessna-Maschine stets ein Erlebnis mit eher solarplexusaktivierender Qualität. Diesmal allerdings ruckelt es noch mehr als sonst, wenn das Fernsehteam seine Exkursionen über die blaue See beginnt. „Mensch, schau dir das nur an“, entfährt es Gianni, dem Piloten, und trotz seiner zwanzigjährigen Routine läßt er einen Augenblick den Steuerknüppel unachtsam aus den Händen.

Der Ausruf gilt dem wahrhaft martialischen Aufmarsch von Schiffen zwischen Italien und dem ehemaligen Jugoslawien, den man alleine schon durch die wenigen Löcher in der Wolkendecke erkennen kann. Nicht, daß hier sonst kein Verkehr herrschen würde, im Gegenteil, Dutzende von Öltransportern und Frachtern, Hunderte von Fischkuttern und Luxusjachten durchpflügen auch normalerweise die Wellen.

Doch die Schiffe, auf die Gianni zeigt, sind deutlich zu unterscheiden von dem, was da sonst dümpelt – nicht weniger als vier Flottenverbände schon auf den ersten Blick, erkennbar durch die straffe Formation, in der sie sich bewegen. Im Laufe der anderthalb Stunden Überflug werden wir ein gutes Dutzend zählen.

Renato, Militärexperte und freier Mitarbeiter zahlreicher Fernsehsender, kann die Verbände schon an ihrem Aufmarschverhalten einordnen: „Das da direkt unter uns, das müssen die Franzosen sein, der Flugzeugträger hat am Ende der Abflugrampe eine Biegung nach oben, weil sonst die Jets bei denen nicht starten können. Die da im Zentralgebiet, das sind die Amis – bei denen ist immer alles überdimensioniert, statt sechs Fregatten wie die Franzosen haben die mindestens zehn oder zwölf.“ Dann deutet er nach Südosten, Richtung „Stiefelabsatz“: „Das da sind die Engländer, die haben ihre Formation zweier in sich geklappter Flügel seit Admiral Nelson nicht geändert, ja, und das da ganz unten – das müssen die unseren sein, sieht jedenfalls etwas chaotisch aus.“

Gianni erklärt das Chaos anders: „Verdammt noch mal, du weißt doch genau, daß die unseren offiziell da gar nicht mitmachen – die sollen doch nur albanische Flüchtlingsschiffe aufbringen.“

Welch ein Zufall: Just als der Konflikt um Exjugoslawien erneut aufflammte und die UNO-Soldaten schwer in Bedrängnis gerieten, verlor die italienische Regierung ganz zufällig das Vertrauen in ihre sonst recht rege und erfolgreiche Küstenwacht zur Abwehr neuer Flüchtlingsströme und entsandte ein paar tausend Heeressoldaten an die Küste sowie ein ansehnliches Marinegeschwader auf See, weil man angeblich nur so die Seelenverkäufer der Menschenschmuggler bekämpfen kann – und nun kreuzen diese Schiffe genau an der Stelle, von wo aus ein Eingriff etwa im neuerdings wieder gefährdeten Mostar innerhalb weniger Stunden möglich wäre.

Doch offiziell sind die Italiener in der Tat nicht dabei – getreu der UNO-Doktrin, daß Anrainer niemals zur „Befriedung“ beim Nachbarn eingesetzt werden sollen. Außerdem „haben wir Angst vor Repressalien der Jugos im Falle allzu bereitwilliger Hilfe unsererseits“, frotzelt Renato.

Italiens Angst, in den Krieg hineingezogen zu werden: Wie paralysiert verfolgt die Öffentlichkeit die neue Entwicklung in Jugoslawien. Beklemmung herrscht vor. „Wir starren wie das Kaninchen auf die Schlange“, meint Alberto, der Kameramann, als er gerade wieder seine langbrennweitige „Cinepresa“ herumreicht, damit auch wir mehr als hundert Kilometer in die Ferne sehen und dabei selbst Lastwagenkolonnen auf dem Festland erkennen können. „Die brauchen ihre Geschütze nur andersrum zu richten“, meint er, „dann ballern die uns in die gute Stube rein. Wenn es so weitergeht, werden sich auch über uns Ströme von Blut wälzen.“ Er grinst verlegen ob seines Pathos, aber die anderen beiden zucken zustimmend mit den Schultern.

Die Hauptangst rührt allerdings gar nicht, noch nicht jedenfalls, von einem direkten Krieg auf italienischen Territorium her – dazu sind die parzellierten Exjugoslawen denn doch zu klein. Doch wie, wenn die zum Mittel des Terrorismus greifen, wie das schon früher geschehen ist – und Italien war doch immer schon ein Tummelplatz des Terrorismus? „Grund genug hätten die ja alle,“ knurrt Renato und nimmt sich ärgerlich den Kopfhörer ab: „alle sogenannten ,Friedensmissionen‘ der Nato starten von Italien aus, auch wenn wir selber gar nicht beteiligt sind ...“

Der italienische Stiefel nimmt sich derzeit wie ein gigantischer Flugzeugträger aus: Vom unteritalienischen Marinafranca bis Aviano an der Nordostausbuchtung stapeln sich alle paar Dutzend Kilometer Kampfjets und Bomber, Munitionsdepots und Kasernen für rasche Einsätze. Ein ansehnlicher Teil der in Deutschland stationierten US-Verbände ist mittlerweile nach Italien transferiert worden, was Gerüchte über Blitzaktionen zur Befreiung aktueller oder künftiger UNO-Geiseln genährt hat. Tatsächlich erreicht uns während des Fluges die Nachricht, daß US-Hubschrauber den vor einer Woche abgeschossenen F-16-Piloten ausgemacht haben und ihn möglicherweise bald in Sicherheit bringen.

Wenig später, in der Flughalle von Ciampino, kommt Renato mit einer neuen Order heraus: Das Team soll nun nach Sizilien und sich für einen Einsatz in Nordafrika bereit machen. Von dort nämlich soll nun eine weitere Gefahr drohen: aus Algier und aus Tripolis seien Terroristen unterwegs, um den bedrängten bosnischen Muslimen dadurch Hilfe zu verschaffen, daß sie in Italien Attentate begehen, um diese dann den serbischen Bosniern in die Schuhe zu schieben.

Die neue Version eines Zusammenspiels mit den islamischen Bosniern scheint einigen Redaktionen „immerhin so glaubhaft, daß wir mal einen Stimmungsbericht von anderen nordafrikanischen Staaten machen, inwieweit die einverstanden sind, daß der afrikanische Islam den jugoslawischen Brüdern derart zu Hilfe kommen soll“.

So wachsen die Ängste der Italiener weiter. „Eine Umklammerung“, so einer der Dreh-Auftraggeber in seiner Regieanweisung für die Drehvorgaben, „würde Italien in einen Kessel zwingen, wo es von Norden wie von Süden bedroht ist und irgendwann wohl gar nicht mehr anders kann, als einen Ausbruch zu wagen, hier- oder dorthin.“ Im Klartext: Dann wäre Krieg unvermeidlich.

Kurze Zeit zeigt sich das Einschätzungschaos erneut: Gegenorder, das Team muß nicht nach Nordafrika, sondern ins nahe Latina – einer der Fundamentalisten war dort verhaftet worden, und nun vermuten journalistische Rechercheure, daß der Mann Militärspionage getrieben haben. Das Team soll herausbringen, so die Order, „ob der Mann etwa erkunden wollte, inwieweit Italien Vorbereitungen für Kriegseinsätze trifft“. Eine offensichtliche Abstrusität: Interessieren könnte das höchstens die bosnischen Serben, kaum die Fundamentalisten.

Aber in dieser hektischen und gleichzeitig paralysierten Zeit der Kriegsangst wird eben alles und auch sein Gegenteil für möglich gehalten. Renato breitet die Hände aus, nimmt Alberto die Kamera von den Schultern und steigt in den Rover, um loszubrausen in Richtung Latina. Werner Raith, Rom

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