: Triebtäter im Internet
Gesichter der Großstadt: Der Soziologe und Gelegenheitsstrapsträger Ingo Braun hat zur Reichstagsverhüllung eine Kulturbox im Internet eingerichtet ■ Von Nina Kaden
„Ein Triebtäter bin ich“, sagt Ingo Braun und schmunzelt. „Damit ich gut bin, muß ich eine rauschähnliche Emphase entwickeln. Ich halte es mit Fassbinder: Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, sagt Ingo Braun. Zur Zeit schläft der promovierte Soziologe wirklich nicht viel. Tagsüber telefoniert er unablässig und versucht, Sponsoren für sein Projekt „Kulturbox“ zu bekommen. Jede Nacht sitzt er vor seinem Computer und gibt Daten rund um die in der kommenden Woche beginnende Reichstagsverhüllung ein.
Mit seinem Projekt „Kulturbox“ will Braun via Internet die Reichstagsverhüllung von Christo begleiten. Weltweit können aktuelle Informationen zu der Christo- Aktion, sowie dem Berliner Stadt- und Kulturleben abgerufen werden.
Als Info-Sammelstelle von und für Künstler soll die „Kulturbox“ allerdings auch dann noch im Internet bleiben, wenn der Reichstag wieder ausgepackt ist. Termine und Berichte zum Kulturleben sowie Tips für Künstler sollen langfristig abrufbar sein.
„Ein bißchen computersüchtig bin ich schon“, gesteht Braun, aber er legt Wert darauf, daß er das digitale Netzwerk mit „kritischer Distanz“ sehe. Einmal beim Thema Internet angekommen, hört Braun nicht auf zu erzählen. Dabei bewegt er oft seine langen Arme, lacht zwischendrin verlegen und greift immer wieder zur Zigarrettenschachtel.
Die Computerfreaks sähen nicht, daß viele abgelegte Daten inzwischen völlig überaltet seien. Außerdem seien viele Netzwerke zu schlecht organisiert. „Die Technik ist gar nicht das Problem, doch mit den Inhalten muß man vorsichtig sein“, ist Ingo Braun überzeugt.
Schon bevor Ingo Braun vor einem halben Jahr die „Kulturbox“ installierte, beschäftigte er sich mit dem Internet. Am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung untersuchte er, wie Menschen mit großen Netzwerken umgehen – nicht nur in der Sphäre der Computer. So hat Ingo Braun das System der Abwasserkanalisation stark beeindruckt. „Diese Verästelungen sind doch viel wichtiger als das Internet“, glaubt der Soziologe.
Und wie paßt seine jetzige, sehr praktische Arbeit an der „Kulturbox“ zu dem Wissenschaftler Ingo Braun? „Wenn ich Zeit und Ruhe habe, dann bin ich klug. Aber das hat mir in meinem Leben nicht viel geholfen“, sagt der 36jährige.
Mittlerweile ist die Zigarette angezündet, zu Ende geraucht, und die nächste Fluppe hält Ingo Braun schon in der Hand.
„Ich will provozieren. Deswegen bin ich schon mit Strapsen auf internationalen Kongressen aufgetaucht“, gesteht er und spricht über die „autoerotische Komponente“ von Strumpfhosen, die die meisten Männer nicht kennen würden.
„Ganz wichtig ist, daß ich Bonner bin. Nur wer einmal Weiberfastnacht auf dem Bonner Markt miterlebt hat, weiß eigentlich, wie es im Internet zugeht.“ Auch ein Portrait von Ingo Braun gibt es im Computer. Drei Fotos und die Selbstbeschreibung: „Zur Zeit Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Kunst und Neuen Medien.“ Und das will Ingo Braun vorerst auch bleiben. Nina Kaden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen