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Tränen in Ottoland

Werder Bremen – Karlsruher SC 2:1 / Verfrühter Meisterjubel beim Abgang von Otto Rehhagel  ■ Aus Bremen Jochen Grabler

Der vierschrötige Mann ist Mitte fünfzig. Rotgesichtig steht er mitten in den Menschenmassen auf der Haupttribüne im Bremer Weserstadion und klatscht, als sei Werder gerade deutscher Meister geworden. Ist es aber nicht, obwohl sich die Mannschaft gerade einen Sieg gegen den Karlsruher SC erzittert hatte. Der Mann klatscht, weil da auf dem Rasen die Spieler eine Ehrenrunde drehen, händchenhaltend, wie die Brasilianer, als sie die Weltmeisterschaft im Sack hatten. Und mittenmang, flankiert von seinen Lieblingsschülern Uli Borowka und Mario Basler: ER! Otto Rehhagel dreht seine letzte Runde, lange nach dem Schlußpfiff, und keiner hat das Stadion verlassen. Der vierschrötige Mann, Mitte fünfzig, rotgesichtig, wischt mit dem Handrücken über die Wange. Und das sind nicht die einzigen Tränen an diesem Nachmittag.

„Es ist mir völlig egal, wer Meister wird“, sagte Uli Borowka mit Wasseraugen und traf damit den Nerv der knapp 40.000, die ins Weserstadion gekommen waren. „Wenn's denn die Dortmunder werden, dann herzlichen Glückwunsch. Wir haben heute unseren Trainer verloren, den besten, den man sich vorstellen kann.“ So ist der Bremer in diesen Tagen, so war er im Stadion: Meisterschaft wäre schon nicht schlecht; als die Dortmunder in Duisburg zwei-null hintenlagen, da hatte die Party fast schon begonnen. Aber nach dem Schlußpfiff, als wieder alles offen war, da war der Titel Nebensache. Otto war noch einmal König von Bremen, das Volk huldigte nach Kräften und war ansonsten bremisch-realistisch-kühl: „Daß der HSV am nächsten Samstag in Dortmund gewinnt, das glaubt sowieso keiner“, kommentierte ein Fan, als die Kunde von der Dortmunder Führung durchdrang. „Und ob wir in Bayern gewinnen – Ramzy wieder verletzt, na ja, man muß ja hoffen, aber glauben tu ich's nicht. Wäre auch kein Beinbruch.“ Ottoland fiebert mit Werder der Meisterschaftsentscheidung entgegen, aber geliebt wird die Mannschaft, auch wenn sie als Zweite aus der Saison geht.

Händchenhalten, Tränen, Stadionrunden, Verbeugungen vor dem Publikum, das ergreifende Abschiedsgeschenk eines Fans bei der Pressekonferenz (ein Supermarkt-Blumenstrauß für sechsfünfzig) – ach ja, gespielt hatten sie außerdem noch. Und wie. Keine drei Minuten war das Spiel alt, da verdaddelte der Karlsruher Manni Bender den Ball in der Mitte der eigenen Hälfte, Basler ging dazwischen, zog so los, wie er immer loszieht, und schlenzte den Ball am KSC-Torwart Reitmaier vorbei ins Netz. Hanseatischer Jubel: Der dauert fünf Minuten, wenn dann die Mannschaft nicht aufdreht, kehrt wieder Ruhe ein.

Von Aufdrehen konnte bei Werder kaum die Rede sein. Alles wie gewohnt, die Mannschaft versuchte, das Spiel zu kontrollieren, den KSC aus der Abwehr zu locken und auf Fehler zu warten. Die kamen mit schöner Regelmäßigkeit. Karlsruher Ratlosigkeiten: Selbst der gerade noch hochgelobte Thomas Häßler hatte allergrößte Mühe, eine Anspielstation zu finden, obendrein folgte ihm André Wiedener auf Schritt und Tritt. Die KSC-Abwehr geriet ein ums andere Mal ins Schwimmen, Werder kontrollierte cool die Szene. Sowieso, als in der 20. Minute die Duisburger Führung bekannt wurde, erst recht, als Bode eine Herzog-Ecke an Reitmaiers Fäusten vorbei ins Tor köpfelte.

So ging's taktisch auch nach der Pause weiter. Allein: Nun hatte der KSC den Ball so oft hin- und hergespielt, daß die Mannschaft zusehends an Sicherheit gewann und sich auch mal was traute, was Werder naturgemäß unter Druck setzte. Die Grünweißen gaben das Spiel aus der Hand, daran änderte sich auch nichts, als Duisburg kurzfristig gar mit zwei-null führte und der Karlsruher Burkhard Reich nach knapp einer Stunde Spielzeit vorzeitig fönen gehen mußte. Die Werder-Devise in Halbzeit zwo: Hinten dicht machen, und vorne hilft der liebe Gott – und der hieß Basler. Mittelstürmer Hobsch mutierte zum Abwehrspieler, Andy Herzog rackerte bei seinem Abschied von Bremen wie ein Votava, und vorne lauerte Basler alleine an der Mittellinie, ab und an stieß der schnelle Marco Bode nach.

Fast wäre die Taktik aufgegangen. Aber sowohl Basler als auch Bode vergaben dickste Chancen oder stellten sich abwechselnd ins Abseits. So durfte sich der KSC über das Anschlußtor von Edgar Schmitt freuen, aber mehr zwingende Chancen brachten die Badener trotz drückender Überlegenheit nicht zustande. Und Dortmund glich in Duisburg aus, und Dortmund ging in Führung. Müssen wir halt auf nächsten Samstag warten. Aber das war, siehe oben, am Ende sowieso und ottomäßig alles Nebensache.

KSC: Reitmaier - Nowotny - Reich, Schuster - Metz, Fink, Häßler (82. Bonan), Tarnat, Bender (46. Knup) - Schmitt, Kirjakow

Zuschauer: 39.184; Tore: 1:0 Basler (3.), 2:0 Bode (25.), 2:1 Schmitt (55.)

Gelb-rote Karte: Reich (57.) wegen wiederholten Foulspiels

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