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„Sie haben Banja Luka kaputtgemacht“

Tausende von jungen Menschen haben das serbisch besetzte Bosnien in den vergangenen vier Jahren verlassen / Die Serben fliehen vor dem Militärdienst und dem Mangel  ■ Von Rüdiger Rossig

Warten, das hat Amir in den vergangenen drei Jahren gelernt. „Irgendwie hat alles lange gedauert seit Beginn des Krieges“, sagt der 21jährige Bosnier mit den langen schwarzen Haaren, „vom Einkaufen bis zum Eisenbahnfahren – alles eben.“ Amir ist aus Banja Luka, der größten Stadt der „Serbischen Republik“ – den 70 Prozent Bosnien-Herzegowinas, die seit Beginn des Krieges um die ex- jugoslawische Republik unter serbischer Kontrolle stehen. „Wir hatten da unten ein schönes Haus“, sagt der junge Bosnier, „aber leider keine Zukunft.“

Seit knapp zwei Jahren lebt Amir in Berlin. Die „Serbische Republik“ hat er verlassen, weil er das Kind einer „Mischehe“ ist: Amirs Mutter ist Kroatin, sein Vater Serbe. „Vor dem Krieg haben wir uns darüber nie Gedanken gemacht“, sagt Amir. Doch das änderte sich schlagartig, als Banja Luka im Frühsommer 1992 fast kampflos von der Armee des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić besetzt wurde. Innerhalb weniger Wochen wurden alle Nicht-Serben von den wichtigen Positionen in Wirtschaft und Verwaltung entlassen. Kroatische und muslimische Politiker wurden verhaftet. Schriftsteller, Musiker und Künstler verließen das Land. Dann verschwanden die ersten Menschen. Für die per Gesetz zu „Angehörigen von Minderheiten“ herabgestuften BürgerInnen Banja Lukas begann eine Zeit der Angst.

Amir und Viola kennen sich schon lange. Bis vor zwei Jahren lebten die beiden im selben Stadtteil, gingen auf dieselbe Schule. „Ich war eine Klasse unter Amir“, erzählt die junge Serbin, die heute in Belgrad lebt, „aber natürlich habe ich ihn oft gesehen. Er war ja sehr bekannt, vor allem wegen seiner Band.“ Daß Amir Muslim ist, war Viola damals nicht aufgefallen. Sie wußte auch nicht, daß der erste große Gig der Band, in der Amir den Baß spielte, außerhalb Banja Lukas hätte stattfinden sollen. Und daß das langersehnte Konzert in Sarajevo ausgefallen war, weil der Krieg begann.

Für Viola sah die Lage nach der Übernahme Banja Lukas durch die Karadić-Armee anders aus als für den muslimischen Rockmusiker. „Meine Familie hat zwar nicht gerade gefeiert“, erinnert sich die 20jährige Serbin, „aber irgendwie dachten wir schon: Unsere haben gesiegt.“ Zudem habe sich am Anfang kaum etwas in Banja Luka geändert: „Auf den Uniformen stand eben nicht mehr Jugoslawische Volksarmee, sondern Armee der Serbischen Republik – was ging mich das an?“

Aufgefallen ist Viola damals allenfalls, daß die bis dato in allen öffentlichen Gebäuden obligatorischen Bilder des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Tito verschwunden waren und die Fahne mit dem roten Stern nirgends mehr hing. Für die immer katastrophalere Versorgungslage in Banja Luka wurden der Krieg und gelegentlich auch die UNO verantwortlich gemacht. „Wir haben die bösen Geschichten über uns Serben für Propaganda gehalten“, sagt Viola. „Karadžić, das war auf jeden Fall unser Präsident.“

Das Verhältnis von Violas Familie zu ihrem neuen „Staat“ änderte sich erst, als einige Monate später die ersten der sechzehn Moscheen der Stadt gesprengt wurden. „Meine Familie war nie religiös“, sagt die junge Serbin, „trotzdem haben wir gedacht: Das sind doch Kulturgüter, die sprengt man doch nicht.“ Der ständige Mangel an allem tat ein übriges: Erste begann die Mutter, Sondervorräte anzulegen, dann wurde immer offener darüber gesprochen, ob es nicht besser sei, Bosnien für eine Zeit zu verlassen.

Amir hatte damals, im Frühjahr 1992, seinen Entschluß schon gefaßt. Für den Sohn einer „Mischehe“ war mittlerweile jeder Weg durch die Stadt zum Hindernislauf geworden. Überall in Banja Luka hatte die serbische Armee Kontrollposten, sogenannte „Punkte“, eingerichtet. „Wenn die dich auf dem Weg zur Schule gekriegt haben“, erzählt Amir, „konntest du den Rest des Tages vergessen – wenn du Glück hattest.“

Seit der Übernahme Banja Lukas durch die Armee der „Serbischen Republik“ wurden nach und nach alle wehrfähigen Männer mobilisiert: Muslime und Kroaten zum unbewaffneten „Arbeitseinsatz“, Serben zur Armee. In den ersten Monaten war Violas Vater, ein Ingenieur, noch vom Militärdienst freigestellt gewesen – sein Betrieb hatte ihn für unabkömmlich erklärt. Doch ein paar Monate nach dem serbischen „Sieg“ in Nordbosnien stellte die Firma ihre Arbeit ein. „Das erste Mal war mein Vater drei Monate weg“, erinnert sich Viola, „dann einen, dann zwei ...“ Amir wurde nur einmal eingezogen – per Einschreiben, ganz regulär. „Eigentlich war ich sogar irgendwie froh, daß ich nicht zur Armee mußte“, sagt er heute. Einge seiner serbischen Freunde haben an der Front Schreckliches erlebt. „Sie haben nie offen davon gesprochen, aber nach ein paar Wochen, auf ihrem ersten Heimaturlaub, haben sie ihre Uniformen vergraben. Die wollten nie wieder dahin zurückgehen.“ Über Monate hätten sich die jungen Serben versteckt, bis ihnen die Flucht ins benachbarte Serbien gelang. Im Frühjahr 1993 hatte es dann auch Amir geschafft: Er wurde einer der rund 400.000 Flüchtlinge, die seit der Gründung der „Serbischen Republik“ die Region Banja Luka verlassen haben.

Der Weg, den der damals 19jährige Amir seitdem zurückgelegt hat, ist typisch für den der Kroaten und Muslime Nordbosniens. Nach zwei Monaten des Wartens in der Nachbarrepublik Kroatien, die selbst eine halbe Million Flüchtlinge aufgenommen hat, durfte er als Kind einer „Mischehe“ in die Bundesrepublik einreisen. Vor einem halben Jahr kam Bruder Damir nach, die Mutter der beiden wartet seit ein paar Wochen in einem kroatischen Flüchtlingslager auf ihr Visum. Eigentlich war die vollständige Zusammenführung der Familie für den 10. März dieses Jahres geplant gewesen. Doch die vorbereitete Ausreise von Amirs Vater aus der „Serbischen Republik“ fand nicht statt: Nur Stunden, bevor der Bus aus Banja Luka an der Grenze des serbischen „Staates“ in Bosnien ankam, schlossen die Karadžić-Behörden als Reaktion auf die bosnische Frühjahrsoffensive den Übergang für alle Männer in wehrfähigem Alter. „Wir hatten jeden Tag auf den Anruf aus Zagreb gewartet“, erinnert sich Amir, „und plötzlich hieß es: Nichts geht mehr.“

Baß hat Amir seit seiner Flucht aus Bosnien nicht mehr gespielt. „In Zagreb hatte ich kein Geld, um mir ein Instrument zu kaufen“, sagt er, „und hier in Berlin habe ich keine Zeit.“ Vor ein paar Monaten ist er mit seiner deutschen Freundin in den Ostberliner Bezirk Friedrichshain gezogen. Die neue Sprache hat er schnell gelernt, „ich will mich mit den Leute hier ja unterhalten“. Nach Banja Luka will Amir nicht mehr zurück. „Von meinen Freunden sind kaum noch welche dort“, sagt er, „was interessieren mich die Bauern, die jetzt in unserem Haus leben?“

Tatsächlich haben die serbischen Behörden die meisten der ehemals muslimischen Häuser Banja Lukas Flüchtlingen aus ländlichen Regionen im von bosnischen Regierungstruppen kontrollierten Teil des Landes gegeben. Die Bevölkerungszusammensetzung im Norden der exjugoslawischen Republik hat sich somit bei weitem nicht nur „ethnisch“ geändert. „Sie haben die Stadt kaputtgemacht“, erklärt Amir, „Banja Luka, das ist jetzt ein großes Dorf.“

In Berlin hat Amir nur wenig Kontakt zu anderen Exjugoslawen. „Du kannst nie sicher sein, ob das jetzt einer von uns ist oder einer von denen. Ich meine nicht, ob die Serben oder Muslime sind, sondern ob sie was taugen.“

Wie Viola zum Beispiel. Seit seiner Flucht aus Bosnien hat Amir nichts mehr von seinem ehemaligen Fan gehört. Die junge Frau hat das Territorium der „Serbischen Republik“ nur kurz nach Amir verlassen – in die andere Richtung. „Eigentlich wollte ich nur ein paar Wochen bei den Verwandten in Belgrad bleiben“, erzählt sie. Doch dann verschob sich die Rückkehr nach Banja Luka immer weiter. „Meine Mutter meint, es sei sicherer, hier in Belgrad“, sagt Viola. Mittlerweile weiß sie, daß sie nicht in die „Serbische Republik“ zurück will: „Das ist einfach nicht mehr unser Land“, erklärt die 20jährige, „und Banja Luka ist nicht mehr unsere Stadt. Da kannst du nicht leben, wenn du normal bleiben willst.“ Seit einigen Monaten versucht Viola, ein Visum für Kanada zu bekommen. Die Chancen stehen schlecht: „Die wollen nur Handwerker“, sagt sie, „und hier habe ich keine Chance auf einen Ausbildungsplatz.“ Wie die meisten der jungen Serben aus Bosnien ist Viola illegal in Belgrad: Die Republik Serbien, die bisher nach Angaben der UNO rund 450.000 Flüchtlinge aufgenommen hat, verweigert ihr den Flüchtlingsstatus. „Amir hat es da besser“, sagt sie zum Abschied, „frag ihn doch mal, ob er nicht noch Platz hat, in Berlin.“

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