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Verhängnisvolle Treffen

Wegen Spionageverdachts wird heute der Prozeß gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Wienand und seinen angeblichen Führungsoffizier eröffnet  ■ Von Julia Albrecht

Berlin (taz) – Der Vorwurf ist gewaltig. Karl Wienand, Intimus von Brandt und Wehner und bis 1974 parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, soll 19 Jahre lang für die DDR spioniert haben. Wegen des Verdachts der „geheimdienstlichen Tätigkeit“ beginnt heute der Prozeß vor dem 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Mitangeklagt ist der 64jährige ehemaliger Offizier im besonderen Einsatz der Abteilung I der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) der DDR, Alfred Völkel. Von 1970 bis 1989 soll Völkel unter dem Decknamen „Krüger“ ausschließlich mit der nachrichtendienstlichen Führung von Wienand befaßt gewesen sein.

Fest steht, daß sich Karl Wienand in den fraglichen Jahren mit Völkel alias Krüger getroffen hat. Und fest steht auch, daß Wienand unter dem Decknamen „Streit“ bei der HVA registriert war. Der Rest ist offen: Wußte Wienand, daß er mit einem hohen Mitarbeiter des MfS Kontakt pflegte? Wußte er, daß er als „Quelle“ registriert und seine Einschätzungen über die Bundesrepublik, teils auf dem Tisch des Stasi-Chefs Erich Mielke, teils auf dem des Generalsekretärs Erich Honecker landeten?

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß er es wußte. In der Anklageschrift heißt es: „Im Herbst 1970 erläuterte Alfred Völkel dem Angeschuldigten Wienand den Charakter der Verbindung wiederholt und unmißverständlich: Zwischen ihm und dem Mitangeschuldigten Wienand solle ein persönlicher und vertraulicher Kontakt aufgebaut werden, in welchem Wienand ,Genosse und Verbündeter‘ der DDR sein werde. [...] Der Angeschuldigte Wienand sagte zu, sich über die von Völkel gestellten Fragen zu informieren und bei den jeweils folgenden Gesprächen darüber zu berichten.“

So habe Wienand ab 1975 bei regelmäßigen, streng geheimgehaltenen Treffs im Ausland über verschiedene Interna der bundesrepublikanischen Politik berichtet: über die Reaktion der Bundesregierung auf das Verhandlungsangebot der DDR zum Grundlagenvertrag; über Probleme der Ratifizierung des Vertrages zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik; über Einzelheiten der Vertragsverhandlungen zwischen Polen und der Bundesrepublik sowie die Beziehungen zur ČSSR.

„Wesentliches Motiv des Angeschuldigten“, so die Staatsanwaltschaft, „war die Verfolgung materieller Interessen.“ Ab 1986 seien monatliche Zahlungen von 10.000 Mark belegt. Karl Wienand, der sich in endlosen Vernehmungen zu den Vorwürfen geäußert hat, leugnet vehement: „Ich habe nicht gewußt, daß Völkel Stasi-Mann war; ich habe kein Geld genommen und keine materiellen Vorteile davon gehabt.“ Sein Verteidiger Reinhard Birkenstock ist der Meinung, es habe sich um einen reinen „Abschöpfungskontakt“ gehandelt.

Tatsächlich sind die Indizien der Staatsanwaltschaft mager. Eine schriftliche IM- oder sonstige Verpflichtungserklärung Wienands liegen nicht vor. Zwar war er ab 1988 als Quelle registriert. „Aber“, so ein Zeuge: „bei ,Streit‘ handelte es sich um eine Kontaktperson des MfS, d. h. der Beziehungspartner wurde zu keinem Zeitpunkt offengelegt.“ Und auch der Vorwurf der Geldgier steht auf tönernen Füßen. Der Mitangeschuldigte Völkel sagt: „Herr Wienand hat von mir kein Geld erhalten. Das schließe ich schon deshalb aus, weil er nicht wußte, wo und für wen ich gearbeitet habe.“ Ein anderer Zeuge, ebenfalls hoher Mitarbeiter des MfS, schildert diesen Punkt anders: „Hinzu kommt, daß ,Streit‘ für seine nachrichtendienstliche Tätigkeit außerordentlich hoch entlohnt worden ist. Während der Zeit, in der ich mit dem Vorgang befaßt war, hat er monatlich einen Betrag von 10.000 Mark erhalten.“ Und er bezieht sich auf eine Frau K., die das ebenfalls bestätigen könne. Die besagte Frau K. jedoch hat bekundet: „Ich kann nicht bestätigen, daß einer Quelle des Referates 6 monatlich regelmäßig 10.000 Mark ausgezahlt wurden. Ich halte die Höhe von 10.000 für absurd.“

Auch das weitere Indiz der Staatsanwaltschaft, wonach sich Wienand und Völkel stets konspirativ getroffen haben sollen, ist wacklig. Beide Angeschuldigten erklären übereinstimmend, sie hätten sich in öffentlichen Räumen getroffen, die „Unterhaltungen waren laut und deutlich“.

Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Spionage könnte den geplanten Ablauf des Verfahrens beeinflussen. Danach hat das Gericht nämlich die Möglichkeit, das Verfahren gegen den ehemaligen DDR-Bürger Alfred Völkel einzustellen. Konsequenz: Völkel könnte als Zeuge geladen werden und müßte dann gegen Wienand aussagen, ohne sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen zu können. Letztlich ist das eine taktische Frage. Sollte das Gericht sich von Völkel als Zeugen Aussagen versprechen, die er als Angeklagter nicht machen würde, wird es von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.

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