: War im Freiheitskrieg alles besser?
Eritrea, der jüngste Staat Afrikas, setzt sich den Anschluß an die „erfolgreichen, entwickelten Länder“ zum Ziel. Aber im allgemeinen Entwicklungseifer werden viele typische Fehler wiederholt ■ Aus Asmara Rupert Neudeck
Die Ampel an der Independence Avenue in Asmara hüpft auf Rot. Da fährt mit ungebremster und lustvoller Geschwindigkeit jemand in seinem Toyota auf der verbotenen Seite über die Kreuzung – zum Entsetzen derer, die aus der Querstraße an der Kathedrale einbiegen wollen. „Das ist ein Ex-Panzerfahrer der EPLF“, sagt eine Deutsche lachend, die Erfahrung hat mit der Elite dieser Gesellschaft. EPLF, das war die Guerillatruppe „Eritrean Peoples Liberation Front“, die ihr Land nun unter dem Namen „Popular Front for Democracy and Justice“ (PFDJ) ganz allein regiert. Als bei der Ampel in Asmara ein Polizist den Panzerfahrer erwischt und stellt, zeigt der Ex-Guerillero nur pikiert seine Fighter-Karte – und entgeht damit automatisch der Bestrafung.
In Eritrea, vor vier Jahren durch eigene 30jährige Anstrengungen selbst befreit, seit zwei Jahren formal selbständig und international anerkannt, vollzieht sich ein altbekannter Prozeß: Eine kräftige, auf dem höchsten Stand der Haager Landkriegsordnung disziplinierte Befreiungsbewegung muß sich jetzt in den komplexen Prozeß der zivilen Normalisierung stürzen. Der Fighter hat ausgefightet.
Vom Buschkampf zur Mercedes-Limousine
Der Charme der einst mit einfachsten Mitteln arbeitenden EPLF hat die verlorene Linke in Europa lange Zeit fasziniert. Und diese Faszination wird immer noch erwidert: So wird zum „Independance Day“ am 24. Mai die deutsche Grüne Uschi Eid eingeladen, nicht aber der deutsche Botschafter Horst Winkelmann oder der Afrika-Beauftragte des Auswärtigen Amtes, Harald Ganns. Und sieht man am 24. Mai 1995 – zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung und vier Jahre nach der Eroberung der Hauptstadt durch die EPLF – den Präsidenten Isayas Afeworki bei den Feiern im Asmara-Stadion, traut man Augen und Ohren nicht. „Glory to the Martyrs, Victory to the Masses!“: Mit solch vorsintflutlichen Parolen schließt er seine Rede – und trägt dazu einen modernen Zweireiher mit ausgewählter Krawatte und Sonnenbrille.
Als Guerillaführer empfing Isayas Afeworki in seinem Untergrundhauptquartier in Sheab deutsche Besucher im Pullover, als Gleicher unter Gleichen, ohne jede Protokollallüren. Auch 1992, nach dem Sieg, war Einfachheit und Verweigerung aller Mercedes- Etikette noch Mode in Asmara; Afeworki fuhr damals ohne Chauffeur einen kleinen Fiat. Mittlerweile hat das Protokoll der eritreischen Regierung eine pompöse Mercedes-Limousine, die den Exzellenzen von draußen zur Verfügung steht. Und im Bologna-Hotel fließt für staatswichtige Gäste auch schon französischer Champagner.
Außenpolitisch hat sich mehr verändert, als der Besucher wahrnehmen kann. Die diplomatische Kunst, mit der die EPLF und Isayas Afeworki in der Schlußphase des Krieges gute Beziehungen zum islamistisch regierten Sudan bewahrten, ist einer gähnenden Leere gewichen. Die diplomatischen Beziehungen zum Sudan sind abgebrochen worden, weil der Sudan angeblich versucht, über die rückkehrenden Flüchtlinge aus den Lagern Fao, Gedaref und Wad Kauli das Land Eritrea islamisch zu infiltrieren. Die Beziehungen zum Nachbarn und alten Herrn Äthiopien werden hingegen mit aller Abgrenzung gut gepflegt. Asab, Eritreas wichtige Hafenstadt, hat weiter eine Bevölkerung von 75 Prozent Äthiopiern und 25 Prozent Eritreern. Der Hafen ist nach einem Staatsvertrag zwischen Äthiopien und Eritrea der große Freihafen für Äthiopiens Handel geworden. Eine Straße nach Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba soll demnächst mit EU- Mitteln gebaut werden, um den Lkw-Gütertransport zu erleichtern. Was die amharische Ex-Führungselite Äthiopiens beschworen hatte, ist nicht eingetreten: Mit dem Verlust seines Meerzugangs ist Äthiopien nicht in die Isolation geraten.
Aber antiäthiopische Nadelstiche und Semantik-Jonglierereien sind in Asmara an der Tagesordnung. Die eritreische Hauptstadt kann sich rühmen, daß sie weder mit Telefon noch Flugzeugen noch Autos von Äthiopien her direkt erreichbar ist. Das Axum-Hotel, benannt nach dem alten äthiopischen Reich, heißt jetzt ganz neutral Legesse-Hotel. Der Reverend der Orthodoxen Kirche, Dimitreos Woldu, der aus Addis Abeba nach Asmara als seine ethnische Heimat zurückkam, darf sein Waisenhaus nur weiterführen, wenn die Mittel aus Deutschland nicht mehr über Addis Abeba, sondern nur noch über Asmara kanalisiert werden. Der neue eritreische Patriarch wird künftig nicht mehr von Addis Abeba, sondern von der reichen koptischen Kirche in Ägypten bestimmt. Es gibt zwar die eigene Fluggesellschaft „Eritrean Airways“ noch nicht, aber schon ein großes Gebäude mit großer Schaufensterauslage und dem Emblem der neuen Airline in großen Leuchtlettern an der Independance Avenue – die „Ethiopean Airlines“ sind dagegen ganz verschämt irgendwo in einem Hauseingang versteckt.
All das dient aber auch zur Betonung der Tatsache, daß sich in Eritrea ein organisierter Staat eingerichtet hat – wo sich zwei andere Länder Afrikas, Somalia und Liberia, als Staaten von der Landkarte verabschiedet haben. Eritreas Behörden funktionierern oft allzu penibel, allzusehr auf Funktionsdemonstration bedacht, allzu langsam, allzu pomadig – aber sie funktionieren. Das Land und seine Menschen vibrieren voller Aktivität und Eifer. Der Verkehr ist kaum noch zu kanalisieren in der Hauptstadt, in der die Wirtschaftsunternehmungen nur so aus dem Boden sprießen. Wo sonst auf der Welt sind am Samstag vormittag alle Ämter, Behörden, ja sogar Banken geöffnet? Wo sonst in Afrika kann man in einer großen Stadt am Sonntag um 6.30 Uhr morgens in einer Hauptstraße Kaffee trinken und frühstücken?
Die Kehrseite ist ebenso offensichtlich. Offene Diskussion gibt es in Eritrea nicht. Das einzige Wochenblatt Eritrean Profile liest sich wie eine Mischung von Regierungs-Gesetzesblatt-Bulletin und Gartenlaube. Die Politik hat sich einem satten Zentralismus unterworfen, der vieles blockiert.
Ganz wichtig: Die eigene Airline
Beim Mittagessen mit den Honoratioren im schwülen Asab am Roten Meer wird das deutlich: Vorher darf man den wunderbaren Strand bewundert, das Wasser ist von betörender salziger Frische. Dann bittet der Bürgermeister den deutschen Botschafter in Äthiopien, der auch für Eritrea zuständig ist, und den Vertreter einer deutschen Hilfsorganisation um eine Hafen- Partnerstadt in Deutschland; um ein Röntgengerät, einen Hospitaltechniker, ein Wasseraufbereitungsprojekt und eine Wiederherstellung der Stromversorgung. Asab, sagt der Bürgermeister Ato Osman Biluh, sei mit seinem Hospital für alle 240.000 Einwohner der Provinz Dankalia zuständig. Aber das Hospital habe kein Röntgengerät, im Extrem-Notfall müsse ein Patient nach Asmara ausgeflogen werden. Dabei wäre der Weg nach Addis Abeba einfacher – aber der Patient würde dabei sicher sterben, so viele Probleme würde es bei der „schnellen“ Visa-Erteilung geben. Botschafter Horst Winkelmann muß den Bürgermeister enttäuschen: Alle Eritrea-Hilfe der deutschen Bundesregierung geht zentralisiert über das Präsidialamt in Asmara.
Schon beschweren sich die Nomaden im Norden Eritreas an der Grenze zum Sudan: Die basismedizinische Versorgung war in der Zeit des Krieges besser als jetzt, weil jetzt so vieles nach Asmara abgezogen worden ist. Zu Kriegszeiten unterhielt die EPLF im ländlichen Norden Eritreas das längste Hospital der Welt – das „Orotta Valley Hospital“. Im Orotta-Tal waren auf einer Länge von sechs Kilometer rechts und links in die Felsen hineingelassen die verschiedenen Abteilungen inklusive Chirurgie und Pädiatrie und Pharmaproduktion untergebracht; die Arbeit begann täglich um 18 Uhr und fand nur nachts statt – wegen der tagsüber drohenden äthiopischen Luftangriffe. Das alles gibt es für die Nomaden nicht mehr.
Am Prozeß der Nationwerdung wird sich die EPLF noch einige Zähne ausbeißen. Das eritreische Volk läßt sich in mindestens sieben „Gesellschaften“ gliedern: Ganz oben stehen die 90.000 Ex-Fighter der EPLF, davon 30.000 Frauen. An zweiter Stelle stehen die meist islamischen Nomadenvölker, die der EPLF während des Krieges die Stange hielten. Dritte Kategorie ist die Stadtbevölkerung von Asmara und Massawa, die es unter der äthiopischen Herrschaft aushielt und jetzt – soweit sie zwischen 18 und 40 Jahre alt ist – durch ein halbes Jahr Militärdienst und ein Jahr Zivildienst einer Art „re-education“, wie es ein Exileritreer nennt, unterworfen wird. Dann gibt es Rückkehrer: die aus Äthiopien; die aus arabischen Ländern; die einstigen Flüchtlinge im Sudan, die mißtrauisch beäugt und in sehr sterile „Flüchtlingslager“ gebracht werden; und zuletzt die Diaspora in Europa und den USA, die lieber Millionenüberweisungen nach Eritrea tätigt, als ihre befreite Heimat zu betreten.
Die härteste Herausforderung für den alles durchkontrollierenden Staatsapparat kommt aus dem Herzen der EPLF, also von den demobilisierten Frauen, die sich nicht mit einer Rückkehr in eine traditionelle Machowelt abfinden wollen. Schon beklagen sich Ältere über die Brüche in den Traditionen der jungen Leute, die keinen Respekt mehr vor den den Clan- und Familienältesten hätten. Der orthodoxe Priester Dimitreos Woldu sagt: Die Frauen wüßten nicht mehr, wo sie „hingehören“, nämlich in die Familie, als Mütter.
Frauen gegen das Monopol der EPLF
Ruth Simon ist eine junge hübsche Soldatin gewesen. Wie so viele ist sie Mutter geworden, ohne Mann [wie hat sie das denn gemacht? d. sin], sie hat ein aufgewecktes dreijähriges Kind. Sie hat gesehen, daß man einige der Gebräuche und Traditionen unbedingt bewahren muß – einige, die die Frauen an ihrer Entfaltung behindern, aber auch nicht. Sie tat sich mit ihrer Kollegin Tsege Mengesha und anderen Frauen zusammen und gründete eine Aktiengesellschaft namens „Bana“ – das Wort der Landessprache Tigrinya für „Sonnenschein“. Der volle Name lautet „Bana Share Company: Eritrean Demobilized Female Fighters Association“, und zum ersten Mal gibt es nun eine von der EPLF unabhängige Frauenorganisation in Eritrea.
Das war nicht leicht. Die Männer in den zuständigen Ministerien sagten: Das geht nicht, das haben wir ja schon, es gibt ja die EPLF- Unterorganisation ERRA („Eritrean Rehabilitation and Relief Agency“), es gibt schon das staatliche Programm „Promoting the Reintegration of Former Female and Male Combatants in Eritrea“. Nur durch gute Kontakte zu Präsident Afeworki konnten die Frauen ihr Projekt verwirklichen. Vielleicht können sich nur einstige Guerillakämpfer, die ja auch bei Rot über die Ampel dürfen, solche Unabhängigkeit erlauben.
600 Ex-Kämpferinnen sind bisher an „Bana“ beteiligt. Die Gesellschaft hat vieles vor: Workshops für Frauen, „Fighter-Hotels“. Und Ruth Simon und Tsege Mengasha, beides gelernte Journalistinnen, wollen sogar eine unabhängige Zeitung machen – ein Novum für Eritrea. Der Weg ist noch lang, bis Eritrea das von Präsident Afeworki in seiner Rede am 24. Mai gesetzte Ziel erreicht: Die einzige Meßlatte, an der wir Eritreer uns messen wollen, sagt er, „kann die der erfolgreichen, entwickelten Länder sein“. Nur dann hätten sie, fährt er fort, „die lange und steinige Reise hinter uns“.
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