: Dinner for Seven
In Halifax versuchen sieben Männer, „die Weltwirtschaft“ zu repräsentieren / Die wichtigen Themen stehen nicht mal auf der Tagesordnung ■ Von Winfried Wolf
Bonn (taz) – Als sich 1975 die Vertreter der mächtigsten westlichen Industrienationen auf Initiative von Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt erstmals in Rambouillet zum „Kamingespräch“ trafen, da waren nur die sechs Länder USA, Japan, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien vertreten. Erst 1976 in Puerto Rico wurde Kanada in die Runde geladen, um das Gewicht Nordamerikas beziehungsweise der USA angemessen zum Ausdruck zu bringen. Statt „Group of Six“ nennt sich das Stelldichein seither „Group of Seven“ oder G7.
Bei dieser Zusammensetzung ist es bis zum diesjährigen Treffen im kanadischen Halifax geblieben. Damit blieb es auch bei der Anmaßung, daß sieben Staats- und Regierungschefs – bei zehn Treffen ausschließlich Männer und elfmal ein männliches Gruppenbild mit der Dame Thatcher – „die Weltwirtschaft“ repräsentieren. Den Gehalt der G7-Treffen hat Helmut Kohl 1983 als Bilanz seiner ersten Teilnahme an dieser Veranstaltung treffend auf den Punkt gebracht: „Williamsburg bot Gelegenheit zu einem offenen Gespräch unter Freunden.“ Das Bundestagsprotokoll registriert hier den Zwischenruf: „Eine tolle Erkenntnis.“
Devisenspekulation: Kein Thema für die G7
Halifax 1995: same procedure as last year – as every year? Ein paar Veränderungen gibt es natürlich. Beim 1985er G-7-Treffen in Bonn konnte US-Präsident Ronald Reagan für einen US-Dollar noch drei Mark bekommen. Sein japanischer Kollege Nakasone hätte ihm 240 Yen als Gegenwert geben müssen. In Halifax lauten die dramatisch veränderten Relationen: 1 Greenback = 1,45 Mark = 90 Yen.
In den letzten Monaten fand ein atemberaubender Dollarverfall statt. Ein deutscher Sparkassenpräsident kritisierte, die USA würden „die Dollarabwertung als handelspolitische Waffe instrumentalisieren“. In der Europäischen Union verloren Peseta, Escudo und Lira erheblich an Wert, so daß das „Europäische Währungssystem“ zunehmend zur Fiktion geriet. Nun waren es just EU-Regierungen, die in ihrer Not diese Abwertungen als „handelspolitische Waffe“, etwa gegen die überwältigende deutsche Konkurrenz, einsetzten.
Allerorten ist zu lesen, die Devisen- und Währungsturbulenzen drohten das zarte Pflänzchen Aufschwung abzuwürgen und die Erwerbslosigkeit, die auf Rekordniveau verharrt, nochmals zu steigern. So wurde erklärt, die Devisen- und Börsenspekulation müsse begrenzt werden. Der Nobelpreisträger Tobin ist in aller Munde, weil er vorrechnete, daß eine lächerlich niedrige Steuer auf Börsengeschäfte zu Sondereinnahmen verhelfen würde, um einen großen Teil der Forderungen, die etwa der Weltsozialgipfel in Kopenhagen stellte, umsetzen zu können. All das wären wahrlich Themen für einen „Wirtschaftsgipfel“. Doch derlei steht in Halifax nicht auf der Tagesordnung.
Eines der ökonomischen Themen, das auf dem Gipfel oder vielmehr in den meist wichtigeren bilateralen Gesprächen am Rande des Gipfels eine Rolle spielen wird, ist die von den USA ständig geforderte „Öffnung des japanischen Marktes“. Mal geht es um Mobiltelefone aus US-Produktion, mal um ein japanisches Importverbot für US-amerikanische Äpfel. Vor allem aber geht es um Autos. Ab 28. Juni will die US-Regierung einen Strafzoll von 100 Prozent auf Luxuswagen aus Japan erheben – ein Einlenken ist derzeit auf keiner Seite in Sicht.
Die Vertreter der dritten Triadenmacht, der Europäischen Union, kritisieren zwar hinter vorgehaltener Hand die harsche Gangart der Washingtoner Regierung, hoffen jedoch, bei einer Konfrontation zwischen den USA und Japan als lachende Dritte dazustehen. In den achtziger Jahren kontrollierten deutsche Autokonzerne noch 80 Prozent des japanischen Autoimportmarktes, jetzt sind es – vor allem wegen des Aufholens der US-Autohersteller – nur mehr 44 Prozent. Im Falle eines Handelskriegs wird Tokio seinerseits die US-Importe nach Japan begrenzen. Da kommt bei VW/Audi/ Mercedes/BMW natürlich Freude auf.
Zunehmend riskante Handels-Kriegsspiele
Ein für alle Seiten riskantes Spiel wird gespielt. In Nordamerika, in Japan und in der EU ist die Grundlage des Wirtschaftswachstums in erster Linie der Export. Der Welthandel wächst schneller als die jeweiligen Bruttoinlandsprodukte. In den USA und in der EU haben die rigide Sparpolitik der Regierungen, die hohe Belastung durch den Schuldendienst für öffentliche Schulden und stagnierende Einkommen zu einer schwachen Binnenkonjunktur geführt. In Japan sprang die Konjunktur im neuen Zyklus erst gar nicht an. Dort droht jetzt eine Bankenkrise und in der Folge womöglich eine Wirtschaftskrise. Handelskrieg heißt Rückgang von Exporten, Einschränkungen des Welthandels – ein Keulenschlag gegen die einzige tragende Stütze der stotternden Weltkonjunktur.
Wenn die USA derzeit mit besonders hohem Einsatz spielen, dann läßt sich dafür ein materieller Grund finden: Die USA sind im Vergleich mit den anderen G-7-Staaten am wenigsten exportabhängig (Exportquote zehn Prozent). Auch die EU ist relativ autark. Doch Japan ist in weit stärkerem Maß von den Märkten der anderen Triadenmächte abhängig. Nur 3,8 Prozent des gesamten Exports aus den Nafta-Staaten gehen in die anderen zwei Triadenblöcke. Bei der EU sind es lediglich 2,9 Prozent; im Falle Japans hingegen 8 Prozent. Diese Achillesferse hat die Konkurrenz ausgemacht.
So uneinig die Triadennmächte in ihrer wechselseitigen Konkurrenz auch in Halifax sein werden, einig sind sich die Vertreter, in deren Ländern zehn Prozent der Menschen leben, gegenüber dem Rest der Welt. Als die Mächtigen der Welt vor 20 Jahren zum erstenmal tagten, beliefen sich die Schulden der Länder des Südens auf „nur“ 500 Milliarden US-Dollar. Heute schulden die Länder der „Dritten“ und der „Zweiten“ Welt den Banken, Regierungen und internationalen Institutionen des Nordens 2.000 Milliarden Dollar. Auf diese Gesamtschuld wurde bereits ein Schuldendienst von insgesamt 2.600 Dollar gezahlt. Der Schuldenturm, in dem sich diese Länder befinden, zwingt zu einem gigantischen Wertetransfer zugunsten des Nordens – kein Wunder, daß die G7 dieses Problem nicht auf ihre Tagesordnung gesetzt haben. Einen Weltgeist gab es eben weder im Manchesterkapitalismus, noch wird er über Halifax schweben.
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