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Die Pressekonferenz wurde live übertragen. Brav hoben die Journalisten die Hand und warteten, bis Monsieur le Président sie aufrief. Mit Atomtests will Chirac sein Image stärken Aus Paris Dorothea Hahn

Achtmal soll's noch krachen

Einen Feind nannte Jacques Chirac nicht, eine politische Notwendigkeit auch nicht. Allein mit der „Sicherheit, Verläßlichkeit und Zuverlässigkeit der Force de frappe“ begründete der neue französische Präsident die Wiederaufnahme der unterirdischen Atomtests im Pazifik. Ab September und bis kommenden Mai will er acht Bomben zünden. Direkt im Anschluß daran werde Frankreich den internationalen Vertrag über einen weltweiten Atomteststopp unterzeichnen, versprach er am Dienstag abend in seiner allerersten Pressekonferenz im Elysee-Palast. Spätere französische Atomtests sollen – wie heute schon in den USA und Rußland üblich – als Simulationen in Labors stattfinden.

Bis zuletzt hatte die russische Regierung versucht, Chirac von der Wiederaufnahme der Atomtests abzuhalten. Die Regierungen Australiens und Neuseelands warnten ihn bei der Gedächtnisfeier zum Kriegsende – am Tag nach seiner Wahl zum Präsidenten – vor einer massiven Verschlechterung der Beziehungen zwischen ihren Ländern. Und die sozialistische Opposition in Frankreich mahnte davor, sich „gegen die historische Entwicklung“ zu stemmen.

Doch Chirac ließ sich von der Bombe nicht abhalten. Sie wurde am Dienstag abend zur ersten politischen Entscheidung seiner siebenjährigen Amtszeit – und zum deutlichen Zeichen des Bruchs mit seinem sozialistischen Vorgänger François Mitterrand. Nicht einmal einen Monat ließ Chirac vorgehen, bis er die Wiederaufname der Tests verkündete – eine Entscheidung, die verfassungsgemäß allein ihm, als oberstem Befehlshaber der französischen Armee, obliegt. Ein Team französischer Militärexperten hatte den Schritt empfohlen. Ohne die Beendung der 1992 abgebrochenen Testserie sei es Frankreich nicht möglich, Laborsimulationen durchzuführen, so die Argumentation ihres unveröffentlichten Gutachtens.

Fünfzig Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki sind Frankreich und China damit die einzigen Länder, die weiterhin Atomtests praktizieren. Er wisse, sagte Chirac, daß es „in gewissen Ländern“ Reaktionen geben werde – auch „leidenschaftliche“. Das respektiere er. Doch seine Entscheidung sei „selbstverständlich unwiderruflich“.

Der Neogaullist, der sich mit der Rückkehr zu den Tests deutlicher denn je zu seinem politischen Vorbild de Gaulle bekannte, der in den fünfziger Jahren die Grundlagen für die Force de frappe legte, verkündete seine atomare Absicht in einer live von den beiden großen TV-Kanälen übertragenen Pressekonferenz.

Chirac als neuer de Gaulle, streng und schmucklos

Vor ihm saß eine handverlesene Schar zumeist französischer Journalisten, die ihre Frageabsichten mit erhobener Hand signalisieren mußten. Wer „drankam“, wurde vom Präsident namentlich aufgerufen. Chirac absolvierte seine erste Pressekonferenz stehend – und so streng, wie er es in seinem Wahlkampf versprochen hatte. Als einzige Schmuckelemente dienten ihm die neben seinem Pult aufgestellte französische und die europäische Fahne – sämtliche Tapeten und Vertäfelungen des großzügigen Saals im Elysee-Palast waren mit beigen Stoffen verhängt.

„Ich habe alle zivilen und militärischen Experten konsultiert“, begründete Chirac seine Entscheidung. Er habe reiflich nachgedacht und „soweit möglich“ wichtige Politiker vorab in seinen Plan eingeweiht, darunter auch seinen Vorgänger.

Mitterrand hatte im April 1992 die französischen Atomtests suspendiert, deren Wiederaufnahme jedoch nie grundsätzlich ausgeschlossen, sondern von der internationalen Einhaltung des Atomtestmoratoriums abhängig gemacht. Bis 1992 hatte Frankreich 192 Atomtest durchgeführt. Die ersten vier Tests erfolgten in Reggane in der Sahara. Nach der algerischen Unabhängigkeit und nach massiven Protesten aus der gesamten Mittelmeerregion siedelte Frankreich seine militärischen Atomzentren auf die Pazifikinseln Moruroa und Fagataufa über, die zu Französisch-Polynesien gehören.

Dort, inmitten einer Region in der einst auch Briten und US- Amerikaner ihre Atombomben testeten, fanden auch die zunächst überirdischen, dann unterirdischen Atom- und Neutronenbombentests statt. In der fernen Metropole finden seit zehn Jahren begleitende Vorbereitungen für die künftigen Simulationen im Labor statt. Frankreich sieht seine Force de frappe stets als Garantin seiner Unabhängigkeit. Um eine technologische Abhängigkeit von den anderen atomaren Großmächten zu vermeiden, soll das Land jetzt neue Bomben zünden.

Nennenswerte Proteste gegen die präsidiale Entscheidung, die sich bereits seit Tagen anbahnte, gibt es in Frankreich bislang nicht. Lediglich aus den überseeischen Gebieten im Pazifik und von den dortigen Anrainerstaaten kamen bislang massive Drohungen. „Die Welt ist immer noch instabil, das zeigen die Situationen in Bosnien und Tschetschenien“, rechtfertigt Verteidigungsminister Millon die „Entscheidung für den Frieden“, die sein Präsident getroffen hat.

Die Gefahr eines neuerlichen atomaren Wettrüstens will der französische Präsident nicht wahrhaben. Auch nicht, daß er möglicherweise Länder an der Schwelle zur Atommacht ermuntert, es der großen Nation gleichzutun. Und für „wissenschaftlich ausgeschlossen“ hält er, daß die Tests Strahlenrisiken für Mensch und Umwelt in der Pazifik bergen.

Chirac will vor allem, daß es im nächsten Jahr zu einem weltweiten Atomteststopp kommt. Deswegen seien die französischen Atomtests auch so eilig. Frankreich, so die Logik hinter der präsidialen Entscheidung, muß weitermachen, um aufzuhören.

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