„Wir sind hier nicht im Beton-Kombinat“

■ Prüfungsangst in Oslebshausen : 12 Bremer Knackis machen den Hauptschulabschluß

Bea hängt mit dem Kopf tief in der Zeitung und signalisiert: Laß' mich bloß in Ruhe. Imke rollt sich gegen die Prüfungsangst eine Zigarette nach der nächsten: Seit zwei Stunden rutschen die beiden Frauen aus der Vollzugsanstalt Blockland schon auf den Stühlen im Oslebshauser Chef-Lehrerzimmer rum. Es ist Donnerstag, elf Uhr. Auf dem Programm steht die Hauptschulprüfung in Englisch. Dafür sind Bea und Imke extra in den Männervollzug gekommen.

„Ausgerechnet heute, wo ich so schlecht darauf bin,“ jammert Imke. Allerdings war sie neulich noch viel schlechter drauf. „Da hätte ich die Schule fast hingeschmissen. Wegen Mathe. Naja, da lief noch ein anderer Vorfall“. Dann bricht sie ab. Braucht ja nicht jeder zu wissen. Jedenfalls: „Im Knast mußt du mit deinen Depressionen allein fertig werden. Da hilft dir niemand.“

Bea reicht eine Filterzigarette rüber und tigert vors Anstaltsfenster. Die Flamme zischt. „Bea, setz dich wieder hin, habe ich gesagt“, rüffelt Hans-Joachim Kruse. Seit 22 Jahren ist er der pädagogische Leiter im Oslebshauser Knast. Er ist ein polteriger Tröster. „Ihr habt doch nix zu befürchten“, schimpft er jetzt. Bea grinst gequält. Wenn sie einen Ausbildungsplatz findet, will die 25jährige mit der Malerinnen-Lehre beginnen. Soweit wie heute war sie noch nie im Leben: „Die Sache mit den Drogen“ kam immer dazwischen.

So gesehen hat der Knast sie weitergebracht. Daß sie seit Unterrichtsbeginn im September für den Schulbesuch dieselbe Markfünfzig bekommt wie andere Inhaftierte für's Gewürzepacken, hat zusätzlich motiviert – sie wenigstens. Denn von den insgesamt sechs Frauen, die anfangs dabei waren, sind inzwischen vier abgesprungen. „Wegen Entlassung. Oder Frust. Oder Flucht. Naja.“

Gegen sowas hilft auch die „Leistungsprämie“ nichts – die zuätzlichen dreißig Mark in diesem Monat, die Hans-Joachim Kruse den zwölf HauptschülerInnen aus allen Bremer Knästen für die bestandene Prüfung versprochen hat: Vor zwei Tagen ging der letzte Prüfling auf Flucht. „Dabei hatte der den Abschluß schon so gut wie in der Tasche.“ Und nur um den Abschluß geht's bei der Prämie – nicht um Noten. „Wir sind hier ja nicht im Beton-Kombinat“, sagt Kruse.

Daß er den Schulabschluß im Knast eigentlich für eine Alibi-Veranstaltung hält, darüber schweigt er am Prüfungstag. Aber solche Gedanken veröffentlicht er: Die Zahl seiner jährlichen Prüflinge ist so mini im Vergleich zu der Gesamtzahl der Inhaftierten, daß er sich nichts vormacht: Die Chance, per Schulabschluß im Knast weiterzukommen, ist gering. „Mit mindestens 50 Prozent Abbruch muß man rechnen.“ Für ihn zählt der Einzelfall umso mehr. „Deshalb ziehen wir das auch mit den paar Frauen im Blockland durch. Selbst wenn nur zwei übrig bleiben“, sagt er und – daß in einer Hinsicht in Oslebshausen immer noch die Jahrhundertwende herrscht.

„Schule und Arbeit konkurrieren miteinander wie vor 80 Jahren“, sagt der Pädagoge. Er weiß: Wer erfolgreich lernen könnte, ist meist auch ein zuverlässiger Arbeiter – eine Stütze der Knastproduktion also. „Deshalb sehen mich manche der Vollzugsbeamten nicht so gerne“, bestätigt auch eine Lehrerin. „Die befürchten, daß ich ihnen die guten Leute weghole“ – und vielleicht würde sie das auch, wenn die Knastschule mehr Kapazitäten hätte: „Mit nur fünfeinhalb LehrerInnen-Stellen sind soviele Deutsch- und Alphabetisierungskurse gar nicht anzubieten wie wir füllen könnten.“ Unvorstellbar eigentlich, wenn man bedenkt, was diese Schule für Einzelne bedeutet: Abdullah hat für seinen Hauptschulabschluß sogar auf die vorzeitige Entlassung verzichtet. „Draußen hätte ich das nie geschafft“. Eva Rhode