Bauer Thews seine Marktnische

■ Soll der Vogel Strauß deutsche Bauernhöfe und Küchentöpfe bereichern? Die taz war dabei, als ein Volkmarster Landwirt seine ersten drei Strauße bekam vom platten Land Burkhard Straßmann

Da kommt Bauer Thews endlich. Vorne BMW, hinten der Hänger „Achtung Turnierpferde“. Ich schiebe die Plane zurück – und muß lachen. Drei endlos lange Hälse, obendrauf winzige Köpfe: Strauße sehen dich an. Drei Straußenhähnchen im Alter von sieben Monaten hat Bauer Thews aus Osnabrück mitgebracht. Er will in Volkmarst bei Bremervörde eine Straußenzucht beginnen. Es ist ein großer Tag für Bauer Thews. Er ist ein bißchen nervös. Als er die Anhängerklappe öffnet, fängt es natürlich zu regnen an. Zu schütten. Er setzt den Straußenhähnen eine blickdichte Kapuze auf und versucht sie aus dem Wagen zu schieben. Die großen Vögel rutschen und stolpern und fallen ins Freie. Dann aber rappeln sie sich hoch – und schweben mit unglaublicher Eleganz davon. Ja: sie schweben! Jeder Schritt ist ein beschwingter Hüpfer. Die langen Hälse fangen die Bewegung des Körpers ab, und so bleiben die Köpfe immer auf gleicher Höhe. Mit einem sicheren Gefühl für Choreografie eilen die Drei durchs Gehege. Ein Tanz!

Eigentlich hat Carsten Thews eine Rinderzucht. Diese hübschen Schwarzen, die immer im Familienverband auf der Weide stehen und ohne Hilfe kalben. Die in den scheußlichen Rinderwahnverdacht geraten sind. Außerdem hat der gelernte Bankkaufmann, der aus Traditionsgründen Bauer wurde, eine Trakehnerzucht. „Der amtierende Siegerhengst steht bei mir in der Deckstation.“ Doch der Landmann, der an morgen denkt, der Unternehmer, sucht nach Marktnischen. Da kam man vor einem Jahr fast automatisch auf den Vogel Strauß. Rinderwahn? Schweinepest? Salmonellen im Hühnerei? Von Straußenwahn hat noch niemand etwas gehört, nicht einmal den Kopf steckt der Vogel in den Sand. Und das Fleisch! Carsten Thews hatte es mal im „Wienerwald“ gekostet – die Kette hatte Straußenfilet eine Zeitlang im Programm. Toll! Dunkles Fleisch, wie Rinderfilet, sehr zart, sehr lecker (und sehr fettarm). Und 60 Prozent vom Straußenfleisch sind Filet! Nach einem Jahr hat der Strauß für 600 Mark Fleisch! Der Plan war schnell gefaßt.

Bauer Thews machte sich schlau. Seit drei Jahren, etwa so lange, wie Strauße auf deutschen Weiden grasen, gibt es einen Bundesverband der Straußenzüchter. Der verschickt Lehrmaterial und organisiert Lehrgänge mit Zertifikat. 140 Mitglieder zählt er heute, meist Bayern und Baden-Württenberger. Bauer Thews absolvierte den Lehrgang und plante in großem Maßstab. Nur sein Onkel moserte. Der Onkel ist Tierarzt. Er findet, daß Strauße in unserem nassen und windigen Land nichts zu suchen haben.

Bauer Thews deutet auf drei schneeweiße Partyzelte, die er den Straußen auf die Weide gestellt hat. Sie sollen sich, findet er, bei Regen unterstellen. Das will er den Gesellen schon beibringen. Einen kleinen See hat er ihnen ausgehoben, da fallen sie auch gleich mehrfach rein. Ein Sandhaufen kommt noch her, zum Sandbaden. Eigentlich auch zum Nisten. Aber in Osnabrück ist ihm ein französischer Züchter in die Quere gekommen, der hat ihm die ins Auge gefaßten Junghennen vor der Nase weggeschnappt. Macht nichts. In drei Monaten gibt's Nachschub. Doch doch, Bauer Thews will es den in Afrika heimischen Straußen im norddeutschen Volkmarst richtig nett machen. Er hat einen Galgen errichtet, an dem werden Bälle und Büchsen aufgehängt. „Strauße sind ja so neugierig. Sie brauchen Spielzeug!“

Es gibt Menschen, die waren depressiv, aber als sie einen Strauß sahen, kriegten sie sich nicht mehr ein vor Lachen. Anders die Trakehner auf der Nachbarweide. Immer, wenn die Laufvögel losrennen, rast die Trakehnerherde panisch in den entferntesten Winkel der Weide. Das ist schon wieder zum Lachen. Oder wie Bauer Thews seine Strauße mal probehalber in den Stall treiben will, der im Winter Vorschrift ist. Da tänzeln sie hier und entwischen da, der Bauer rennt und schwitzt. Er hebt die Arme, sie breiten die untauglichen Flügel aus, und wenn er nicht aufpaßt, setzt es einen Tritt, da hört man die Englein singen. Wer, bei einer Größe bis drei Meter, mit sechzig Sachen über die Wiesen preschen kann, kann auch sehr effektvoll treten.

Die schnellen Straußenbeine sind so ungefähr das einzige, was man am geschlachteten Strauß nicht brauchen kann. Die Federn bringen gut und gern zehn Mark das Stück. Die Haut ist begehrt, um straußenlederne Oberbekleidung oder Taschen herzustellen. Die Eierschale wird gern bemalt. Aus dem Eigelb (ein Straußenei entspricht 20 bis 26 Hühnereiern) machen Kenner Straußeneierlikör. Und das Fleisch ist der Gourmethit. Aber was für Straußenfleisch kauft man im Delikatessenhandel? Tiefgefrorenes aus Afrika oder (sauteures) frisches aus Frankreich oder Holland. In Deutschland gibt es nämlich noch kein legales Verfahren, den Strauß zu töten. Mit der Frage beschäftigen sich Uni-Institute! Die beste Chance hat derzeit, weiß Thews, die Methode Bolzenschuß und Kopf-ab.

500 Mark Mark hat Bauer Thews pro Hahn bezahlt. Das ist billig. Sehr billig. Die Preise sind in den letzten beiden Jahren um 50% gefallen. Für ein Brutpaar hätte er 1993 noch 25.000 Mark hingeblättert. Heute bekommt man sie für 13.000. Bauer Thews kennt den Grund: die Medien. Tierärtze und Tierschützer haben nämlich die Straußenhaltung ins Gerede gebracht, und die Medien haben sich freudig draufgestürzt. Eine angemessene Haltung, sagen die Veterinäre, sei hier, im feucht-kühlen Deutschland, nicht möglich. Die Tierschützer haben den Vogel Strauß schnell zum „schützenswerten Vogel des Jahres“ erklärt. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Funke (SPD) will über den Bundesrat auf ein Verbot der Züchtung in Deutschland hinwirken. Und die Grünen sprechen von Tierquälerei. Ja man hört Klagen über eine „Überfremdung der heimischen Arten“. „Ausländerfeindlichkeit“, kontert der Straußenzüchterverband trocken. Und Bauer Thews erinnert daran, daß auch das deutsche Haushuhn mal aus wärmeren Zonen hierher kam. Es hat sich halt gewöhnt.

Sollten sich die drei Hübschen, die jetzt noch braunes Gefieder tragen, aber als ausgewachsene Hähne schwarze Federn und rote Beine haben, an das Volkmarster Klima gewöhnen und sollte die Straußenfleischvermarktung hierzulande nicht in Gang kommen, haben Bauer Thews Enkel noch Spaß an den Tieren. Strauße können bis 80 Jahre alt werden. Ebensolang währt mit Glück die Straußenfamilie: Strauße leben streng und gesittet in Bigamie. Der Hahn liebt nicht nur seine Kinder, sondern auch zwei Hennen.

Bauer Thews aber, unter dem Eindruck des schlechten Images der Straußenhaltung, spricht heute nicht mehr von einer Straußenfarm. Er sagt: „Es ist ein Hobby.“ Und tatsächlich: Wenn man sie schweben sieht, die Straußenhähne, in ihrem mit zwei Meter hohem Maschendraht umzäunten Gehege, im Hintergrund die wellige Geestlandschaft mit Trakehnern, im Vordergrund eine Zwergpony mit Fohlen, dann fühlt man ganz sich wie im Zoo. Wie in einer Nische. Nicht wie in einer Marktnische.

Burkhard Straßmann