: Nach Christo kommt die Abrißbirne
■ Zwei Gründerzeitbauten am Reichstag sollen Neubau zum Opfer fallen / Bezirk Mitte protestiert und will den Abrißantrag auf Eis legen, Bausenator schweigt / Bausubstanz ist gut und könnte saniert werden
Verpackung und Abriß liegen in Berlin dicht nebeneinander. Die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Reichstagsgebäude stehenden Altbauten Clara-Zetkin-Straße 112 und 114 sollen abgerissen werden. Wie die Gesellschaft Historisches Berlin gestern mitteilte, steht der Abbruch der beiden im letzten Jahrhundert errichteten Bauten unmittelbar bevor. An ihrer Stelle plant die Bundesregierung den Neubau von Abgeordnetenbüros und Verwaltungsgebäuden.
Inzwischen ist auch zwischen dem Senat und dem Bezirk Mitte der Streit um den Abriß entbrannt. Da sich das Grundstück im Besitz des Bundes befindet, ist nicht das Bezirksamt Mitte, sondern Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) für die Abrißgenehmigung zuständig. Wie die Gesellschaft Historisches Berlin mitteilte, habe die Senatsbauverwaltung bereits grünes Licht für den Abriß gegeben. Der Mietvertrag des letzten Nutzers laufe am 9. Juli, drei Tage nach Ende der Reichstagsverhüllung, aus. In der Senatsbauverwaltung schwieg man sich gestern zu diesem Thema aus.
Gegen den Abriß hat sich neben der Gesellschaft Historisches Berlin inzwischen auch die bündnisgrüne Abgeordnete Elisabeth Ziemer ausgesprochen. Im Stadtplanungsamt Mitte ist man entschlossen, den Abrißantrag, der dem Bezirk vom Senat derzeit zur Stellungnahme vorliegt, vorläufig auf Eis zu legen. „Wir werden den Antrag zurückstellen“, kündigt Stadtplanungsamts-Mitarbeiter Christian Kuhlo an. Grundlage dafür sei die am Dienstag dieser Woche im Bezirksamt beschlossene Erhaltungssatzung für die Dorotheen- und Friedrichstadt. Darin sind die beiden Gebäude als „denkmalwert“ eingestuft. „Wenn der Senat dann trotzdem den Abrißantrag genehmigt“, meint Christian Kuhlo, „können wir allerdings nichts mehr machen.“
Die beiden Gebäude in der Clara-Zetkin-Straße wurden vor der Jahrhundertwende von Ludwig Loewe als Verwaltungsgebäude für die U.E.G., die Vorgängerin der AEG, errichtet. Nach dem Abriß der Fabrikationshalle Wiebestraße in Moabit gehören sie zu den letzten erhaltenen Bauprojektes des Industriellen Loewe und zählen nach Angaben des Bezirksamts Mitte zu den wichtigsten baulichen Anlagen, die im Zuge der Erweiterung der Dorotheenstraße zur Ebertstraße entstanden sind. Paul Wallot, der Architekt des Reichstagsgebäudes, mußte sich beim Bau des Reichspräsidentenpalais an den schon vorhandenen Verwaltungsgebäuden orientieren. Das Gebäude mit der Nummer 114, das ehemalige Institut für Marktforschung, verfügt über 3.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche, die Nummer 112, ehemals Institut für internationale Wirtschaft und Politik, über 8.400 Quadratmeter. Beide Gebäude weisen eine gute Bausubstanz auf und ließen sich, so das Bezirksamt, in das Bebauungskonzept der Architekten Bussmann und Haberer für die Bundestagsbauten integrieren, ohne dieses Konzept in seiner Gesamtheit zu behindern. Uwe Rada
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen