: Was will frau mehr?
Nach 1:0 über China erwarten deutsche Kickerinnen entspannt WM-Finalgegner Norwegen ■ Aus Helsingborg Matthias Kittmann
In der Niederlage sind auch sie allein. Nach der 0:1-Niederlage gegen die deutschen Kickerinnen wurde aus dem chinesischen Kollektiv ein Haufen versprengter Individualistinnen. Hungrig, doch ohne Appetit, stocherten sie in ihrem Reis mit Putenbruststückchen, starrten ins Leere, mancher tropfte eine Träne in den Teller. Nur wenige Meter entfernt saßen auch Individualistinnen. Bettina Wiegmann (23), die Torschützin, Birgit Prinz (17), die neue Kraft, die zum erstenmal in diesem Turnier nicht muffelig wirkte, sondern strahlte, und Silvia Neid, die nur ganz versonnen irgend einen Punkt fixierte und den Moment still mit einem Glas Champagner genoß. „Das ist eindeutig das Größte, was ich bisher erlebt habe“, sprach die von Erfolgen gewiß nicht übersehene Kapitänin, „deshalb will ich das ganz in Ruhe noch mal an mir vorbeiziehen lassen.“ Erst nach Mitternacht löste sich bei vielen die Anspannung und endlich einmal mal, gaben sie nichts auf die dezenten Hinweise der DFB-Offiziellen, nun aber allmählich mal ins Bett zu gehen.
Das WM-Halbfinale war gewiß nicht das ganz große Spiel, Theoretiker aber schwärmen nun vom Kampf der „Systeme“. Und wenn so eine Auseinandersetzung nur knapp entschieden wird, zeigt das auch, daß sich diese Systeme fast neutralisiert haben. Dann entscheidet nur individuelle Fähigkeit einer einzelnen im entscheidenden Moment.
6-2-2 ist nicht die Vorwahl von Peking, sondern meint die hochentwickelte Strategie der Chinesinnen. Offensive birgt immer das größere Risiko und deshalb lassen sie das die anderen eingehen. Ein Mittelfeld klassischer Prägung gibt es im Grunde nicht. Bei Ballgewinn muß jede in der Lage sein, den Paß nach vorne zu spielen. Nur die beiden Spitzen haben, was ihre Position angeht, Freiheit. Gegnerische Mannschaften laufen wie vor eine Wand. Ein Kombinationsspiel bleibt meistens in den engen Abwehrmaschen und spätestens 20 Meter vor dem Tor hängen, weil die Asiatinnen mit hoher Disziplin und Laufstärke stets Überzahl in Ballnähe schaffen.
So wirkt das Spiel einer optisch überlegenen Mannschaft, wie das die Deutschen durchaus waren, wie das Umrunden des Halbkreises beim Handball. Paradoxerweise ist der Ballbesitz der Chinesinnen die größte Chance für einen Gegner – sofern er in der Lage ist, selbst den chinesischen Aufbau zu stören. Das wiederum erfordert hohe Laufarbeit und Beweglichkeit. Der deutschen Mannschaft ist das bis zu diesem Punkt auch gelungen, und zwar als bisher erstem Team. Chancen lassen sich zwar nicht völlig verhindern, Wan Suns gefährlichste Schüsse wehrte einmal Torfrau Manuela Goller spektakulär und einmal der Pfosten ab, doch so wenig klare Möglichkeiten hatten die Chinesinnen noch nie. Die Deutschen allerdings auch nicht. Durch die aufwendige Sicherung des eigenen Tores, was wiederum der Clou des chinesischen Systems ist, waren die deutschen Strategiekräfte einfach zu weit zurückgezogen, um Räume schnell überbrücken zu können.
Daß sich das Team dennoch durchgesetzt hat, liegt, neben ein bißchen Glück, auch an den Scorer-Qualitäten der deutschen Frauen. Acht verschiedene Spielerinnen haben bisher mindestens einmal getroffen. Eine unberechenbare Situation für jeden Gegner. Gerade die sonntägliche Finalgegnerin Norwegen (18 Uhr live in der ARD) hat damit keine guten Erfahrungen gemacht und alle wichtigen Spiele bisher verloren. Deren britischer Stil, hoffen die Deutschen, werde ihnen erneut entgegenkommen. Die Viererkette der Norwegerinnen ist – im Gegensatz zur chinesischen Verteidigung – erwiesenermaßen mit schnellen Leuten ausspielbar. Vielleicht wird ja am Ende jener Dreisatz aufgehen, den DFB-Trainerin Tina Theune-Meyer definiert hat: „Das US-Team spielt nicht gerne gegen Norwegen.“ Hat sich bewahrheitet. Die hohe Favoritin ist mit 0:1 und überraschend chancenlos im anderen Halbfinale abgeschmettert worden. Zweiter Satz: „Wir spielen nicht gerne gegen die USA.“ Prima, braucht frau nun nicht. Drittens, sagt Tina Theune-Meyer: „Wir wiederum sind der Angstgegner Norwegens.“ Was, ist da zu fragen, will frau mehr?
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