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Super-Logistik im vertrödelten Berlin

Heute beginnt in Berlin die Christo-Jeanne-Claude-Reichstagsverhüllung / Die Hauptstadt erwartet bis zur Enthüllung ab dem 6. Juli drei Millionen Touristen, obwohl ihr Marketing miserabel ist  ■ Aus Berlin Nina Kaden

Der Berliner freut sich. Totales Verkehrschaos am Brandenburger Tor. Das Wahrzeichen, durch das sonst nur Busse und Taxis rauschen dürfen, ist seit Mittwoch für alle Autofahrer offen. Bis einschließlich 9. Juli, Ende der Enthüllung der Reichstagsverhüllung. Sofort nach dieser frohen Verkündigung stauen sich die Wagen zwei Kilometer lang von Ost nach West. So begrüßt die Hauptstadt Jeanne- Christo-Claude und ihre Kunst mit Brummbrumm. Spontan!

Keine sechshundert Meter weiter, am Reichstag, scheint alles möglich. Ohne Chaos. Im Unterschied zum Berliner Verkehrssenator, bei dem die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut, wird hier ein Mammutprojekt generalstabsmäßig durchexerziert. Logistik ist der halbe Sieg. Schon vor zwei Wochen stand genau fest, welcher Kran welche Ballen Silbergewebes exakt wann auf das Dach des Reichstags hievt. Seit gestern früh 5.30 Uhr läuft der Show- down. Bis dahin wußten nur enge Vertraute des Verhüllerpaars, wo das Material verborgen liegt, denn: „Wenn der Stoff an einer kleinen Stelle kaputtgeht, ist das ganze Projekt gestorben.“

Bis jetzt jedenfalls ist nichts gestorben. Jeanne-Claude und Christo tragen seit gestern Bauarbeiterhelme, beobachten die Sattelschlepper, die die 100.000 Quadratmeter Wunderstoff aus dem Dorf Werneuchen bei Berlin (aha, da war er also) herankarren – hübsch verpackt natürlich. Heute wird ein Kletterteam die ersten Stoffbahnen in die Innenhöfe des Reichstags abseilen, ab morgen fällt die Außenhaut. Mittwoch soll alles umschnürt sein, vorausgesetzt, es bleibt unter Windstärke fünf. Innerhalb der sogenannten Christo-„Bannmeile“ läuft alles perfekt, professionell eben. „Den Reichstag zu verhüllen ist genauso so, wie ein Hochhaus zu bauen“, meinten him und herself bei einer Pressekonferenz. Zur Seite steht ihnen die „Verhüllte Reichstag GmbH“, eine vor einem Monat gegründete mittelständische Firma. Hier arbeiten 2.000 Profis pannenfrei, einschließlich StudentInnen für etwa acht Mark netto pro Stunde. Das entspricht dem McDonald's-Lohn. Einige wenige grummeln darüber, aber die allermeisten fühlen sich durch das „Ereignis an sich“ entschädigt, sind hochmotiviert und bewundern das Künstlerpaar grenzenlos. 1.200 MitarbeiterInnen werden während der Reichstagsverhüllung vor dem zum Kunstwerk mutierten Parlament stehen, die Public Relations betreiben, für gute Stimmung sorgen, wenn doch mal was schieflaufen sollte, womit aber niemand ernstlich rechnet.

Außerhalb der „Bannmeile“, sprich Würstchenbudenfrei-Zone, scheint es weder einen Plan noch eine PR zu geben. Einige verhüllte Duftflacons stehen in den Schaufenstern von Nobelparfümerien. Die Berliner-Kindl-Brauerei wirbt mit verpackten Bierflaschen und die Deutsche Post AG hat einen philatelistischen Leckerbissen herausgebracht: den „Verhüllter Reichstag“-Stempel. Das war es! Sollten unter den drei Millionen Touristen – mit solchen Mengen rechnet die Stadt – aber Antialkoholiker, Briefmarkenfeinde und Parfümallergiker, also Jeanne- Christo-Claude-FreundInnen pur sein , wird es schon schwierig mit dem Begleitprogramm.

Denn eine von der Neuen Nationalgalerie ursprünglich geplante Christo-Gesamtausstellung ist geplatzt. Der Grund: Direktor Dieter Honisch weigerte sich, im Titel der Ausstellung die Mitorganisatorin und Muse Jeanne-Claude zu nennen. Weil das Duo aber keines ist, sondern seit einem Jahr bekanntlich eine Symbiose, wird die korrekte Gesamtausstellung nicht in Berlin, sondern nur in Übersee zu bewundern sein. Professor Honisch verteidigt noch heute seine Entscheidung. Die Doppelautorenschaft würde für die Frühwerke nicht zutreffen, und gerade um die hätte es bei der Ausstellung gehen sollen. Statt Christo-Historie ist deshalb in der privaten Grundkreditbank in der Innenstadt die Zukunft zu besichtigen. Das Flußprojekt im amerikanischen Westen und „The Gates“ im New Yorker Central Park. Der Ausstellungseröffnung am Donnerstag wohnte geballte Politprominenz bei, quasi als Entschuldigung für die Nationalgalerie-Pleite. Die Christo- Jeanne-Claude-Präsenz ist mit etwa 40 Zeichnungen und Collagen eher spärlich zu nennen.

Ausgeschlafener als das Berliner Prestige-Museum zeigen sich die zentralen Berliner Bezirke Mitte und Kreuzberg mit einem umfangreichen kulturellen Sonderprogramm. Auch die Berliner Kulturverwaltung war zum erstenmal in der Lage, sämtliche Aktivitäten in der Stadt in einem 67-Seiten-Katalog zusammenzufassen und alles ins Internet einzuspeisen. Und o Wunder, die Berliner Museen haben während der Enthüllungszeit ihre Öffnungszeiten verlängert, und die Theaterferien wurden auf Mitte Juli verschoben.

Kunsttouristen, die nach all dem Kulturstreß ihr Haupt betten wollen, brauchen keine Parkbänke zu reservieren. Hotel- und Mitwohnagenturen haben noch genug Platz. Ein Ergebnis der miserablen Außendarstellung der Stadt. PR-mäßig ließ sich Berlin sogar von Nordrhein-Westfalen ausstechen. Das Land warb erfolgreich damit, daß der Stoff der Träume in Emsdetten bei Münster gewoben wurde. Problematisch mit dem spontanen Schlafen wird es nur am ersten Jeanne-Christo-Wochenende. Am 23. Juni wird es rappelvoll. Da wird Fußball gespielt, und alle DFB- Fans wissen seit langem, daß der Ball rund ist.

Daß Fußball gegenüber Kunst gewinnt, befürchten übrigens auch die Berliner Geschäftsleute. Obwohl das Ladenschlußgesetz für das Weltereignis aufgehoben wurde, wollen nur wenige Händler die Chance nutzen. Berlin zeigt sich, wie es immer war. Vertrödelt.

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