■ Mit dem Datenschutz auf du und du: Konzerne dürfen alles
Berlin (taz) – Anfang des Jahres wurde eine Berliner Firma wegen Verstößen gegen das Datenschutzgesetz durchsucht – mit acht Millionen Betroffenen. Angaben über Liquidität, Gerichtsverfahren et cetera wurden offensichtlich weder mit Wissen noch mit Einverständnis der Ausgespähten erhoben. Eine gute Seite aber hatte der Vorfall: er ist nach bundesdeutschem Recht lösbar.
Ganz anders sieht es aus, wenn Daten ins Ausland übermittelt werden: dann wird meist gar nicht gegen Gesetze verstoßen. Schließlich gilt bundesdeutsches Recht nur hier; in Italien zum Beispiel gibt es kein umfassendes Datenschutzgesetz, ebensowenig in Belgien. Ein internationaler Konzern, der seine Kundenverwaltung in Italien hat, kann juristisch unbelangbar personenbezogene Daten sammeln und an Dritte weitergeben. Dieses Gefälle kann leicht zur Abwanderung einschlägiger Firmen in Oasen ohne Datenschutz führen.
Auch wenn das Europäische Parlament in den nächsten Monaten eine EU-weit gültige Datenschutzrichtlinie veröffentlicht, ist diese noch nicht wirksam: Die Mitgliedstaaten müßten sie erst zu nationalem Recht machen. Das dauert Jahre. Die EDV-Branche erlebt in dieser Zeit jedoch ein bis zwei neue technische Generationen.
Selbst bei schnelleren Gesetzesverfahren wären die Regelungen schon bei ihrer Veröffentlichung Makulatur. Übertragungen personenbezogener Daten generell zu verbieten ist praktisch unmöglich, weil es Tourismus und Handel schwer beeinträchtigen würde. Und selbst mit dem besten Europarecht blieben nichteuropäische Staaten weiterhin unberücksichtigt. Zwar ließe sich in das neue Gesetz schreiben, daß Angaben nur in „datensichere“ Staaten übertragen werden dürfen, allerdings ist der größte Handelspartner der EU, die USA, nach gängigen Vorstellungen nicht „datensicher“.
Es gibt in den Vereinigten Staaten sehr wohl Datenschutzgesetze, denen aber ein bevorzugtes Recht auf Information gegenübersteht: die Zugänglichkeit von Behördendaten für jedermann. Es ist nicht zu erwarten, daß die Amerikaner diese Errungenschaft gegen umfassenden Datenschutz tauschen würden.
Es droht also das globale Dorf, in dem, wie in Dörfern üblich, zu viele Mitmenschen zuviel über den einzelnen wissen. Wenn Krankenversicherungen Personen ablehnen oder Arbeitgeber Bewerber nicht einstellen, weil sich bestimmte unerfreuliche Daten „herumgesprochen haben“, entspricht dies tatsächlich einer „Dorfatmosphäre“. Die kommende Frage lautet dann neben Spiel, Spaß und Video-on-demand wohl eher, ob es globale Großstädte gibt, in denen man sich den weltweiten Nachbarn wieder entziehen kann. Michael Gellner
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