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Wettstreit der Systeme

Fußball-WM der Frauen, Finale: Norwegen gewinnt gegen Deutschland verdient mit 2:0  ■ Aus Stockholm Matthias Kittmann

Natürlich, es schmerzt. Birgitt Austermühl, die Verteidigerin, liegt vor Enttäuschung und Erschöpfung auf dem pfützennassen Rasen und vergräbt ihr Gesicht. Andere stehen da, im Regen, wo sie der Abpfiff getroffen hat, und starren ins Leere mit Tränen in den Augen. Wer erstmals im Finale steht, der will auch gewinnen. Da trösten keine gut gemeinten Worte. Doch plötzlich macht eine den Anfang, sie geht zur Gegentribüne, und die anderen schließen sich ihr an. Sie applaudieren den Fans, die von weit herkamen, und starten „La Ola“. Schließlich wird man Vize-Weltmeister nicht alle Tage. Trotz dreier Europameistertitel ist dieser zweite Platz in Schweden der größte Erfolg der deutschen Frauen, seit sie international Fußball spielen.

Gleichwohl tut es weh, sich eingestehen zu müssen, an diesem Tag einer besseren Mannschaft unterlegen zu sein. Das 2:0 für Norwegen war hochverdient. Gegen eine so athletisch und intensiv spielende Mannschaft mußten die Deutschen nicht nur spielerisch, sondern auch mit Willen bestehen. Es mutet anachronistisch an, aber das Team verlor unter anderem deshalb, weil es nicht die sogenannten deutschen Tugenden auspackte, sondern spielerisch den Erfolg suchte. Diesmal funktionierte es nicht. Die Mannschaft ließ sich vom norwegischen Kraftfußball in die Defensive drängen, ohne ein Gegenmittel zu finden. Jeder hohe Ball in den Strafraum brachte höchste Not, und die meisten Konterversuche scheiterten daran, daß selbst die Stürmerinnen hinten mit aushelfen mußten und somit als Anspielstationen in der Spitze fehlten.

Vielleicht waren alle, einschließlich Trainer Gero Bisanz, vorher eine Spur zu selbstsicher gewesen. „Norwegen ist der angenehmste Gegner für das Finale“, sagten die Spielerinnen. „Wir sind der Angstgegner Norwegens“, die Trainer. Aber die als Schwachstelle ausgemachte Viererkette der Norwegerinnen spielte traumhaft sicher, und der scheinbar simple „Kick and Rush“-Stil entpuppte sich als hocheffizientes System. Vielleicht hatte auch Bundestrainer Gero Bisanz die Gefahr falsch eingeschätzt. Statt wie bisher selbst die Entscheidung zu suchen, sollte die Mannschaft erst einmal abwarten, und das war Gift für ihr Spiel.

Doch so schmerzlich dieser Tag, grämen muß sich die Mannschaft nicht. Das Team hat Potential. Es kann attraktiven Fußball spielen wie keine deutsche Mannschaft je zuvor. Spielerisch, athletisch und taktisch ist sie in der Lage, ein Spiel modernster Prägung zu bieten. Vorausgesetzt, der DFB befreit sich endlich von seinen preußischen Methoden, alles und jedes vorschreiben zu wollen und somit die notwendigen kreativen Persönlichkeiten schon zu Beginn ihrer Entwicklung zu behindern. Wem nicht zugetraut wird, alleine einkaufen zu gehen, die wird auch auf dem Rasen keine Initiative entwickeln können, wenn ein Spiel auf der Kippe steht.

Von anderen Nationen kann der DFB dabei viel lernen. Überhaupt ist es die Überraschung dieser Weltmeisterschaft, mit wieviel verschiedenen Systemen Erfolg möglich ist. Von der Langeweile des Männerfußballs keine Spur. Jede der fünf Top-Mannschaften hat ihren jeweils eigenen Weg gefunden. Und vor allem: Von anderen lernen heißt, siegen lernen. Als vor vier Jahren die USA in China Weltmeister wurden, kamen die entscheidenden Tips aus Deutschland. Ansom Dorrance, damaliger US-Trainer und jetzt im Beraterstab, räumt freimütig ein: „Die Gespräche und Diskussionen mit der deutschen Trainerin Tina Theune- Meyer haben unserer Trainingsmethodik den entscheidenden Schliff verpaßt.“ Und Theune- Meyer wiederum gibt zu: „Im psychologischen Bereich sind uns die Amerikaner voraus.“ Bestimmte Übungen im US-Camp dienen nur dazu, Aggressivität anzutrainieren. Dafür staunen jetzt beide über die Chinesen. Was die Asiaten hier im Bereich der perfekten Raumaufteilung vorgeführt haben, hat in den Frauenfußball eine neue Qualität gebracht. Allerdings erfordert die strikte Aufteilung des Feldes in Sektoren für die Spielerinnen ein hohes Maß an Disziplin.

Die Norwegerinnen wiederum überraschten mit einer Totalrenovierung des guten, alten Kick and Rush. Die Viererkette in der Abwehr, dessen Funktionsweise so manchen Männern vergeblich eingetrichtert wird, funktionierte bei den Skandinavierinnen mit erstaunlicher Präzision. Und im Gegensatz zum Spiel britischer Prägung dienen die wenigen Anspielstationen nicht einer „Long Bow“, sondern einem punktgenauen, langen Zuspiel an die bewegliche Spitze, die eine kopfballstark, die andere mit technischen Qualitäten am Boden. Neue Systeme sind 1996 bei Olympia in Atlanta herzlich willkommen.

Norwegen: Nordby - Svensson, Espeseth, Anne Nymark Andersen, Myklebust - Riise, Haugen, Nina Nymark Andersen - Medalen, Aarones, Pettersen

Zuschauer: 17.158

Tore: 0:1 Riise (37.), 0:2 Pettersen (40.)

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