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Ein Kessel Heavy Listening

■ Monologe in der Mitte des Lebens: Isaac Hayes' „Branded“ und „Raw & Refined“

Ab einem gewissen Alter muß man die Dinge nicht mehr ausführen oder gar vorzeigen; dann reichen Andeutungen, und Understatement ersetzt die expliziten Lyrics. Diese Art Rückzug ist gleich beiden neuen Platten von Isaac Hayes anzumerken. Schon auf dem Cover zu „Branded“ und dem zwillingshaft gestalteten Instrumental-Album „Raw & Refined“ scheint Hayes, der sich sonst gern als Ganzkörper-Ikone abbilden ließ, zu verschwinden. Ein paar Quadratzentimeter Glatze, dazu eine schnittige Sonnenbrille, der Schriftzug im Sottsass-Design der späten sechziger Jahre, das war's.

Ebenso geschmackssicher wie neutral verhält es sich mit der Musik, die ein bißchen zeitgemäß swingende Synthesizer-Disco, Lovin' Spoonfuls „Summer in the City“ und Ausflüge ins „Soulsville“ der Hayesschen Songwriter- Biographie mischt. Die Instrumentals kommen darüber hinaus noch dem Party-Sound gewisser Tanzorchester entgegen, die derzeit unter Easy Listening firmieren. Was also ist geschehen, daß Isaac Hayes mit seinem Comeback von der Form her zwar ziemlich gut ins Hammondorgel-Inferno paßt, aber dabei dem eigenen früheren Treiben doch ein wenig hinterherhängt? Wann ist ein Soul ein Soul?

Zunächst einmal machen weder „Branded“ noch „Raw & Refined“ einen Hehl aus den Verbindlichkeiten, die sich aus der Geschichte ergeben, die einer wie Hayes mit sich herumschleppt. Ohne Wah-Wah-Gitarre, symphonische Prächtigkeit und Las-Vegas-Glamour geht hier gar nichts. Gerade ein Intro lang hält Isaac Hayes mit „Ike's Plea“ seine Klage über das Regenwaldsterben und die sonstigen Kreislaufstörungen der Natur durch; anderthalb Minuten grummelt und croont er, während nur eine Maschine ihm den Beat zum Flüstern vorgibt. Dann geht der Vorhang langsam auf, die Geigen surren, Frauen gurren, und die Gitarre hebt mit jenem Schmetterlingssound von „Shaft“ ab, für dessen Soundtrack Hayes 1971 den Oscar bekam. Daß „Branded“ nach 24 Jahren bruchlos und unbeschadet im Pimp- und Pusher-Gestus daherkommt und es trotzdem funkt, liegt nur zum Teil an der Beharrlichkeit, mit der Hayes seinen guten Groove pflegt wie einen englischen Garten. Es ist viel mehr die Faszination an einer stillstehenden Schwermut, die sich aus Songs wie „Shaft“ oder „By the time I get to Phoenix“ heraussedimentiert hat und in Dancefloor- Samples eifrig wiederholt wird. Loops der Geschichte: Wo etwa der britische Knautschlack-Hiphop von Portishead sich seine Ornamente zusammensammelt und selbst die neue Martini-Reklame ihre Mafiosi-Ästhetik herbezieht, ist Isaac Hayes nicht unbedingt Doppel seiner selbst, sondern Nutznießer im Rahmen der allgemein verpflichtenden symbolischen Vergangenheit geworden.

Kein Zweifel, an den Songs klebt weniger der Mythos einer ungebrochenen Autorschaft als die Aura einer Epoche, die zu erinnern eine Alternative zu Technosound und Internet darstellt. Es träumt sich nicht schlecht von roten Ferraris momentan. Deshalb muß es auch einigermaßen erschrecken, wenn Isaac Hayes sich zwar musikalisch treu geblieben ist, aber ein ganz anderes Leben meint. Für Liebe und Inspiration dankt der Mittfünfzigjährige nun dem „Church of Scientology Celebrity Centre“ und „L. Ron Hubbard for his gift to the artist“.

Was nun auf „Branded“ mit brummiger Radiostimme als Text ausgebreitet wird, paßt irgendwie nicht zum wildromantischen Dinner-Kerzenschein im musikalischen Hintergrund. Es turtelt alles ziemlich fadenscheinig vor sich hin, ohne daß man Isaac Hayes Genuß anmerken würde. Der Sex, von dem in der sonoren Baßlage gesprochen wird, ist nicht mehr untief, überbordend und allumfassend, sondern an konventionelle Codes gebunden. Wenn Hayes auf „Let me love you“ vom Vergnügen singt, dann denkt er an den geregelten Verkehr zwischen Ehepartnern „at the end of the day“. Der Glaube, der hier in Ekstasen beschworen wird, fügt sich jedenfalls gut in eine Kirche der Liebe auf Erden, vor deren Verfehlungen die Hubbard-Familie schützt, ob Michael Jackson oder Isaac Hayes. Sein Kettenhemd, ehemals Markenzeichen und Fetisch des befreiten schwarzen Körpers, wird im Booklet auf ein hübsches Schmuckstück reduziert.

So unterscheidet sich auch der besungene Ersatz für die ziellos dahintreibende Liebe, die Hayes anfang der siebziger Jahre in seinen Raps und Poems aufschnappen und nach einigen intensiven Minuten wieder spielerisch verwerfen konnte, nicht allzu sehr vom effektvollen Womanizing, mit dem ein Barry White etwa einherprotzt. Da wird recht stoisch fortbefriedigt, selbst „Making Love at the Ocean“ klingt trotz verausgabend geblasenem Saxophon furchtbar fantasielos, wenn auch auf höchstem Niveau. Genausowenig scheint die Coverversion von „Summer in the City“ ins Bild von der Stadt zu passen, die John B. Sebastian einmal besungen haben mag und die noch in der Version von Quincy Jones zumindest schwül und aufgeladen war. Die wilde Urbanität, das von Ereignissen gelenkte unstete Umhertreiben, das Cruising überhaupt ist einer cleanen Sonntagsnachmittagskulisse gewichen, wo die Kirche noch im Dorf steht und hieße es Denver, Colorado. Dazu hämmert unentwegt eine verzerrte E-Gitarre zum ebenso geradlinig gearteten Beat auf die Gemeinde ein.

Keine Pause, in die man noch alles Elend der Welt fallenlassen könnte. Nirgends weicht die zufriedene Heiterkeit mehr den depressiven Blues-Akkorden, mit denen Hayes dereinst Burt Bacharachs „The Look of Love“ vom Easy zum Heavy Listening zurechtbiegen konnte. Geblieben ist ein Othello, der sich früher lieber Black Moses nannte und dessen Lieder noch in der Mitte des Lebens von einer opernhaften Grandesse getragen sind – nur daß er jetzt eben statt zu bitten betet. Harald Fricke

Isaac Hayes: „Branded“

Isaac Hayes Movement: „Raw & Refined“ (beide Virgin)

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