piwik no script img

Pippi Langstrumpf bewaffnet

Vom Underground zum Kult zum Kommerz – das radikal anarchistische „Tank Girl“ wurde bei der Transformation zur Filmheldin schwer angeschossen  ■ Von Karl Wegmann

Der „Original Gangster“ und „Body Counter“ Tracy Marrow, besser bekannt als Ice-T, wußte genau was auf ihn zukam. In einem Interview mit The Face antwortete er auf die Frage, ob er angesichts dieser Rollenwahl nicht Angst um seinen Ruf als „Muthafucka“ haben müßte, cool wie immer: „Darum kann ich mir keine Sorgen machen. Ich meine ich kann jetzt schon hören, was Minister Farrakhan sagt: ,Und sie verkleideten Bruder Ice-T mit einem Känguruh-Kostüm und machten ihn zu einem Tier!‘ Aber, Minister, fünf weiße Typen haben ihn doch ... ,Das taten sie unserem Bruder an, um ihn zu entmenschen, und sie wollten zeigen, daß er unter ihnen steht!‘ Darauf kann ich nur sagen: Von mir aus.“ Gut gebrüllt, Rapper, wenn auch nur für eine Handvoll Dollar.

Aber es hätte ja wirklich eine herrlich geschmacklose Angelegenheit werden können: Ice-T, der auf der Bühne gerne seine Hose lüftet, um mit seinem Schwanz („Evil Dick“) zu plaudern, als Beuteltiermutation Booga, jenem potenten Lover von Tank Girl, der, ausgestattet mit einem Gemächt, das ein Maultier neidisch machen könnte, allzeit bereit – und meist geiler als weiland Jimmy Page nach einem Drei-Stunden-Gig – durch die postnukleare Gegend hüpft. Allein die Geschichte, in der er Tank Girl seine bewunderungswürdige Morgenlatte präsentiert und einen bizarren Vorschlag macht, wie sie diese am besten zu Fall bringt, hätte Ice-Ts Machoruhm gefestigt. Gut, im Comic werden ihm vom Tank Girl am Ende dafür Arme und Beine abgehackt – aber er hatte es wenigstens versucht.

Natürlich kam alles ganz anders. Eine 23jährige, sexuell-aggressive Comic-Heldin, biersaufend und kettenrauchend, die einen Panzer fährt und diesen auch einsetzt, die nach einem guten Essen gerne ausgiebig furzt, Menstruationsprobleme hat, ihre Wege mit zerfetzten Männerleichen pflastert, über „Tits and balls, dicks and fannies“ philosophiert und ihren Lesern den „Spaß an Drogen“ näher bringt – für so eine Frau ist Hollywood nicht bereit. So wurde folgerichtig aus „Tank Girl“ im Kino genau das, was Regisseurin Rachel Talalay hatte vermeiden wollen: eine Superheldin, ein „Rambo mit Titten“.

Der Tank-Girl-Kult wurde 1987 in England geboren. Längst langweilten die amerikanische Comics, in denen Superhelden nach Vietnam irgendwie ohnehin erledigt waren. Ende der siebziger Jahre explodierte in England der Punk und breitete sich sofort wie ein Flächenbrand aus: laut, dreckig, ordinär. Tank Girl ist ein Kind dieses Geistes.

Als die gerade 20jährigen Jamie Hewlett und Alan Martin 1987 für ihr Fanzine „Atom Tan“ Tank Girl kreierten, konnten sie noch nicht ahnen, daß es ihrer Radikalversion von Pippi Langstrumpf genauso ergehen würde wie dem Punk- Rock: Aus dem Underground wurde Kult und dann Kommerz. Dabei wollten Hewlett und Martin eigentlich nur genügend Geld verdienen, um weiterhin in ihrer Bude in Worthing, Südwestengland hocken zu können, Bier zu saufen, Musik zu hören und mit ihren Star- Wars-Puppen zu spielen. Die Gemütlichkeit hatte ein Ende, als sie für ein neues Comic-Magazin, deren Macher versprachen, das nicht Druckbare drucken zu wollen, eine Tank-Girl-Geschichte einschickten. „Deadline“ wurde ein Hit und Tank Girl der Star des Heftes.

Hunderttausende von gelangweilten Jugendlichen, vorwiegend Mädchen, identifizierten sich mit der respektlosen, rotzfrechen Punk-Göre. Besonders in den USA wurde Tank Girl blitzschnell Trend und Lebenseinstellung. Anarchie war wieder machbar und Hedonismus war cool. Plötzlich waren sie da, die Rrriot-Girls in Springerstiefeln, die sich nicht für den Dogmatismus der Emanzipationsbewegung ihrer Mütter interessierten, die im Gegenteil das Etikett „Schlampe“ sichtbar stolz spazieren führten. Das „Tank Girl“ eigentlich nichts anderes war als eine spätpubertierende Männerphantasie interessierte nicht.

Der Zug raste los, und wer Hip sein und mitverdienen wollte mußte aufspringen. Die abgehalfterten Jungs der Ramones gestanden, daß sie in Tank Girl verliebt seien. Blur, The Senseless Things, Curve und andere Bands besangen sie oder gaben sich auf Promo-Fotos oder in Videoclips verkaufsfördernd als Fans zu erkennen. Vivienne Westwood und Gaultier schneiderten TG-inspirierte Klamotten, der Pinguin-Verlag brachte mit „Tank Girl“ sein bestverkauftes illustriertes Taschenbuch heraus und Girlie-Sängerin Liz Phair textete so, wie die Comic- Figur agierte: „Ich fick' dich, bis der Schwanz blau ist“.

Damit nicht genug. Jetzt ging das Gemetzel um die internationalen Lizenzen los. 1991 warb das Panzermädel zum Beispiel für Wrangler Jeans, seitenweise stellten nun Magazine wie Elle, Select oder The Face „Tank-Girl-Mode“ vor, einzig Vogue vermied, lächerlich vornehm wie immer, den Titel des Comics und sprach verhalten von „Bad Girl Fashion“. Bei diesem irren Hype war ein abendfüllendes Lichtspiel unvermeidbar.

Rachel Talalay, die sich gerade als Regisseurin von Teenie-Gruselmärchen wie „Freddy's Dead – The Final Nightmare“ und „Ghost in the Machine“ einen nicht gerade spektakulären Ruf erworben hatte, glaubte das filmische Potential der britischen Terror-Kröte erkannt zu haben. Das sie absolut nichts verstanden hatte, bewies ihr Anruf bei Hewlett und Martin. Sie und ihr Produzent Richard Lewis versprachen den TG-Erfindern, daß „der Traum von Reichtum, Ruhm und vom Bad in Eselsmilch“ sich nun bald erfüllen werde. Dabei hatten Zeichner und Texter doch alles was sie brauchten (eine chaotische Bude in einem Reihenhaus in einer Kleinstadt) und inzwischen mehr Geld verdient, als sie jemals versaufen konnten. Es war ein nicht allzu heftiger Kampf, den Hewlett und Martin schließlich verloren. Das Film-Tank-Girl wurde daraufhin von Talalay schwer zusammengeschossen. Jetzt sieht sie so aus wie das Hollywoodklischee, das der Regisseurin vom „toughen Weib“ vorschwebte: Sexsymbol für Männer und nette, gutaussehende feministische Ikone für Frauen.

Der Geist des Tank Girl, das Absurde, das erfrischend unchristliche Geschehen, die anbetungswürdigen Geschmacklosigkeiten, die vulgäre Sprache, die Verarschung des Mainstream und die Verunglimpfung von Kino-, Fernseh- und Sporthelden ist nicht mehr da. Im Comic ist sich Tank Girl ihrer Sexualität nicht sicher, und es ist ihr egal, mal treibt sie's mit ihrer Freundin, mal mit ihrem Freund, am liebsten aber mit einem Känguruh. Damit wird der ganze Rummel, den „die Erwachsenen“ um Sex machen, der Lächerlichkeit preisgegeben. Im Film erlaubt man ihr zweimal „fuck“ zu sagen und ihr Sexualleben ist ungefähr halb so lebendig wie die FDP – dem potenten Beuteltier darf sie gerade mal einen Kuß auf die Wange hauchen.

Die Geschichte selbst ist spröde Hollywood-Dutzendware: Einsame Gute (Lori Petty) kämpft gegen böses Unternehmen mit einem noch böseren Boß (Standardbesetzung: Malcolm McDowell) und siegt schließlich. Explosionen, Schießereien und ein paar eingestreute, gezeichnete Comic-Sequenzen, die den Film aber auch nicht retten können. In den USA war „Tank Girl“, mit viel Tamtam gestartet, der Flop des Jahres, spielte gerade mal vier Millionen Dollar ein. Rrrriot-Girls und echte Fans hassen ihn. Ein zweiter Teil wird uns deshalb, Booga sei's getrommelt und gepfiffen, erspart bleiben.

Etwas Gutes bleibt jedoch hängen von Talalays Machwerk: Der Soundtrack. Angeblich soll die selbsternannte Hohepriesterin der Girlies, Courtney Love, die Musik höchstpersönlich ausgesucht haben. Das ist kaum zu glauben. Denn warum hat sie dann Björk, Portishead oder Belly genommen, wenn sie Mudhoney, Breeders oder Smashing Pumpkins hätte haben können? Da wird wohl jemand im Hintergrund die aktuelle Indie- Hitparade gelesen und Frau Love auf Linie gebracht haben. Egal, der Soundtrack ist hörenswert und auch Bruder Ice-T hat dafür durchaus edel komponiert und getextet („She walks softly but she carries a big gun“). Ansonsten hatte Minister Farrakhan aber recht: Ice-T kommt saublöd rüber in einem Känguruh-Kostüm.

Rachel Talalay: „Tank Girl“, mit Lori Petty, Malcolm McDowell, Ice-T u.a.; USA 1995, 104 Min.

„Tank Girl“ Soundtrack (WEA 755.961.760.2)

„Tank Girl“ Comix (deutsch) bei Ehapa-Verlag, Heft 1 für 5,- Mark, Heft 2 schon 9,80 Mark. Alle zwei Monate ein neues Heft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen