■ Mit der Ukraine auf du und du: Vorbild USA?
Berlin (taz) – Den Menschen in der Ukraine geht es immer schlechter. Als die Ex-Sowjetrepublik vor vier Jahren ihre Souveränität erklärte, betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr fast 2.000 US-Dollar. Jetzt sind es noch 666 Dollar. Die Industrie produzierte 1994 28 Prozent weniger als im Vorjahr. Gestiegen sind dafür die Preise: 1993 um über 10.000 Prozent, derzeit um geschätzte 250 Prozent.
Von westlichen Meinungsforschern befragt, wie die Wirtschaft des Landes reformiert werden sollte, gaben die meisten UkrainerInnen als Vorbild die Bundesrepublik und die USA an. Genauer stellte sich die große Mehrheit der Befragten das so vor: Der Staat soll ihnen einen Job garantieren und noch mehr Kontrolle als bisher über die Wirtschaft ausüben.
Dabei bietet die ukrainische Regierung im Grunde ihrer Bevölkerung genau das. Nach wie vor legt der Staat die Preise fest. Die Arbeitslosigkeit betrug 1994 nur 0,3 Prozent – auch wenn viele der Beschäftigten nichts zu tun haben.
Präsident Leonid Kutschma nahm sich bei seinem Amtsantritt im Oktober 1994 einige Reformen vor – er hat auch keine Wahl, wenn er von IWF und Weltbank die zugesagten Kredite in Höhe von 3,6 Milliarden US-Dollar ausbezahlt bekommen will. Kutschma will 8.000 Unternehmen privatisieren, das Budgetdefizit durch Verringerung der Subventionen abbauen, er hat die Devisenbörse wiedereröffnet und die meisten Exportquoten aufgehoben. Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Im April wählte das Parlament die Regierung ab, denn die habe weder die heimische Industrie unterstützt noch die Bevölkerung vor Preiserhöhungen geschützt.
Unter IWF-Regie soll jetzt die Inflation eingedämmt werden. Der Staat soll sparen. Leidtragende sind bei solchen Maßnahmen üblicherweise die ärmeren Schichten. Ohne Subventionen für die Industrie etwa sind Entlassungen unausweichlich. Vorschläge, wie der Reformprozeß weniger schmerzhaft gestaltet werden könnte, beinhalten zum Beispiel Absprachen zwischen Regierung, Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die maximal zulässigen Preiserhöhungen und Lohnsteigerungen sowie Kreditzinsen. Fraglich ist nur, ob der IWF eine solche Wirtschaftslenkung hinnimmt. Denn mit freier Marktwirtschaft hat das nicht viel zu tun. lieb
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