: Schülerin droht Abschiebung
■ Seit 6 Jahren geht Setareh auf die Schule Kornstraße - jetzt soll sie raus
„Ich habe keinen Schleier“, sagt Setareh Ghofrani, 16 Jahre alte Schülerin der Klasse 10s am Schulzentrum Kornstraße. Seit 6 Jahren an der Schule, lebt in der Neustadt und schon weil es dort kaum Iraner gibt, spielt sie fast ausschließlich mit Deutschen. Am 31.8.1995 soll sie Deutschland verlassen, wenn es nach der bremischen Innenbehörde geht. Grund: Setareh ist zwar erwiesenermaßen schon seit 1988 in Deutschland, nicht aber ihre Mutter.
Das deutsche Ausländerrecht behandelt eigentlich Menschen, sie schon vor dem 1.1.89 nach Deutschland gekommen sind, als „Altfälle“. Man geht davon aus, daß sie in Deutschland weitgehend integriert sind und stellt ihnen deshalb eine Aufenthaltsgenehmigung aus. Nicht so allerdings bei Minderjährigen: Da gilt dieser Stichtag nur, wenn die Kinder nachgezogen sind.
Im Falle der Familie Ghofrani war das anders: Bruder Soheil war mit 14 Jahren zu den damals berüchtigten Kinder-Einheiten im Krieg gegen den Irak gesteckt worden und sollte Minen entschärfen. Nach 9 Monaten im Krieg kam er zum Fronturlaub zurück nach Teheran - und die Eltern setzten ihn 1987 sofort ins Flugzeug nach Deutschland, wo er von Verwandten aufgenommen wurde. „In meinem Flugzeug saßen über 200 Jugendliche“ erinnert sich Soheil. So wie er wurden damals tauende minderjähriger Kriegsflüchtlinge aus dem Iran in Deutschland aufgenommen und ausländerrechtlich geduldet. Soheil ist heute erwachsen - für ihn gilt der Stichtag, er darf bleiben.
Nicht so seine damals 10jährige Schwester, die bald nachgekommen war, von den nächtlichen Bombenangriffen zermürbt, von den Schulbehörden mit Fragen nach dem Aufenthaltsort ihres Bruders unter Druck gesetzt. Setareh fällt heute in ein juristisches Loch: Als „nachziehendes Kind“ würde für sie heute die Stichtags-Regelung von 1989 in Anspruch nehmen können, aber, sagt die bremische Innenbehörde, sie ist nicht „nachziehend“, sondern sozusagen „vorziehend“ geflüchtet, und dafür gibt es keine Regelung.
Wenige Wochen nach dem heute rückwirkend geltenden Stichtag kam die Mutter nach, eine Chemie-Lehrerin, mit einem 3jährigen Jungen auf dem Arm. Der Junge ist jetzt neun, er hat keine Erinnerung an den Iran und sagt, wenn das Thema auf die eventuelle Ausweisung kommt, immer: „Ich bin ein Deutscher.“ Seine Schwester Setareh, 16, hat natürlich keinen Schleier im Schrank. Sie geht mit ihren Mitschülerinnen ins Capitol und in die Disco Arena. Deutsch redet und schreibt sie fließend, gerade hat sie ohne Probleme den Sprung auf die gymnasiale Oberstufe geschafft - im Herbst soll sie nach Huckelriede, wenn es nach der Schule geht. Sie spricht zwar persisch, hat aber in ihrer Muttersprache nie richtig schreiben gelernt. Im Iran wäre sie eine Fremde.
Aber das spielt offenbar in der bremischen Ausländerpolitik keine rolle. Schon im Juni, als die Klasse eine Fahrt nach London machte, durfte Setareh nicht mit: Da sie keine Aufenthaltsperspektive auf deutschen Papieren nachweisen konnte, erteilte die englische Botschaft ihr kein Visum. Die Klasse fuhr ohne sie. Das Verwaltungsgericht hat ihren Aufenthalt auf den 31.8. begrenzt, sie legte Berufung ein. Im Juli, mitten in den Schulferien, soll nun das Oberverwal-tungsgericht letztendlich entscheiden. Wenn sie ausgewiesen wird, dann ist die Ausweisung von Mutter und kleinem Bruder eine Formsache - nur der erwachsene Bruder darf hierbleiben. Umgekehrt, so fürchtet die Ausländerbehörde, darf die gesamte Familie hierbleiben, wenn das der minderjährigen Tochter gestattet wird.
Morgen wollen die Schüler gegen diese Ausländerpolitik demonstrieren. Da der scheidende Innensenator keine Zeit hatte, mit den Schülern zu sprechen, wird der Zug zum Rathaus gehen - dort tagt der alte Senat . K.W
Treff: Dienstag, 11.30 Uhr, Polizeihaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen