: "Wer droht, der muß zur Not auch schießen"
■ Die Bündnisgrünen in Bonn streiten über Militärhilfe für die UNO in Bosnien: Waltraud Schoppe nennt sie zwingend, Angelika Beer befürchtet eine Eskalation
taz: Wenn Politiker und Intellektuelle aus Sarajevo den Deutschen vorhalten, sie ließen sie im Stich, weil sie keine militärische Hilfe gewährten, trifft Sie dieser Vorwurf?
Angelika Beer: Als wir in Sarajevo waren, haben wir uns mit Intellektuellen unterhalten. Aus der Sicht von Menschen, die eingekesselt sind und als Geiseln genommen werden, ist dieser Vorwurf verständlich. Sie berufen sich auf das Recht zur Selbstverteidigung und fordern, ihre Möglichkeiten zu stärken. Wir haben dagegen auch in Sarajevo argumentiert, daß die Aufhebung des Waffenembargos eine Eskalation des Krieges herbeiführen würde.
Waltraud Schoppe: Der Vorwurf ist berechtigt, weil die Menschen in Europa unterschätzen, was sich auf dem Balkan abspielt. Dort soll eine europäische Idee, nämlich das multikulturelle Zusammenleben von Menschen, zugrunde gerichtet werden. Europa hat versagt, weil seine Staaten den Serben, die den Krieg angefangen haben, nicht gleich entgegengetreten sind. Das hätte man von Anfang an mit der Androhung von Gewalt unterbinden müssen.
Ist die nun anstehende Bundestagsentscheidung für Sie eine Möglichkeit, die Bringschuld abzutragen?
Schoppe: Die Pläne der Briten und Franzosen sehen vor, die in Bosnien stationierten UN-Truppen zu verstärken, um wenigstens den minimalen Schutz der Bevölkerung aufrechtzuerhalten und Zeit zu gewinnen. Es ist der letzte Versuch – das hat die Regierung in Paris deutlich gesagt. Wenn er scheitert, werden Engländer und Franzosen sich zurückziehen, und der Krieg wird bis zum letzten Blutstropfen ausgetragen. Die Deutschen sind gefordert, in diesem Rahmen einen Beitrag zu leisten. Ich glaube nicht, daß wir mit dem dauernden Verweis auf unsere Geschichte uns dieser Verpflichtung entziehen können. Die Armee ist heute, anders als vor 60 Jahren, keine Angriffsarmee, sondern sie ist die eines demokratischen Staates, der sich in festen Bündnissen bewegt. Wir würden auch unter dem Mandat des UN- Sicherheitsrates agieren.
Beer: Es gibt tatsächlich eine Bringschuld Deutschlands, Europas und Amerikas. Aber es ist bestimmt keine militärische, sondern eine politische. Die Staaten in der Kontaktgruppe haben es über drei Jahre hinweg nicht fertiggebracht, einen Konsens über eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg herzustellen, sie haben nur Interessenpolitik betrieben. Deutschland müßte eingestehen, daß die von Bonn erzwungene frühzeitige Anerkennung Kroatiens und Sloweniens falsch war und den Konflikt eskalieren ließ. Alle nichtmilitärischen Initiativen – wie strikte Embargoüberwachung, Aufnahme von Deserteueren, Abschaffung des Visazwanges – hat Deutschland abgelehnt. Die Regierungen müssen sich die Frage gefallen lassen, warum nun militärische Schritte Erfolg einbringen sollen, die ohne jedes politische Konzept beschlossen worden sind – und zwar jenseits der UNO. Mit der Entscheidung der Außenminister von EU und Nato ist die UNO doch unter Zugzwang gesetzt worden. Butros Ghali konnte nur noch zustimmen.
Gesetzt den Fall, die Bundestagsvorlage würde diese Woche in drei Bereiche aufgesplittet – logistische Hilfe, Lazarettentsendung und Kampfflugzeugeinsatz: Wie würden Sie dann stimmen?
Schoppe: Diese Entscheidung fällt nicht leicht. In dieser Gesellschaft wirkt seit einigen Jahren eine starke pazifistische Grundströmung. Das finde ich im Grunde positiv, es ist mir lieber als eine Gesellschaft, die mit Hurra alles Militärische bejubelt. Dennoch glaube ich, daß wir uns nicht auf die Position zurückziehen können, wonach wir in der Nato nur Sicherheitsnehmer sind. Wir müssen auch Sicherheit geben. Dazu gehört auch, daß wir uns an einem Einsatz beteiligen, wenn er notwendig ist. Ich halte das von der Bundesregierung vorgelegte Konzept für schlüssig. Falls es so in den Bundestag kommt, werde ich auch dem Einsatz der Tornados zustimmen.
Beer: Das Nato-Bündnis ist nicht Sicherheitsgeber. Aufgabe der Grünen ist es, jede Instrumentalisierung des Krieges zu verhindern, auch die innenpolitische. Wenn ich mir ansehe, wie Volker Rühe über die Stationen Somalia und Kambodscha seine Salamitaktik der Militarisierung der Außenpolitik vorantreibt, dann muß ich dir sagen, Waltraud: Du unterliegst einer Fehleinschätzung. Mit der gleichen Salamitaktik geht er nun bei der Frage einer deutschen Beteiligung in Bosnien vor. Erst war sie auf den Fall des nicht gewollten UN-Abzugs beschränkt, dann hieß es, auch bei einer Umgruppierung sei deutsche Hilfe notwendig. Diese Woche geht es nun um die Unterstützung der Schnellen Eingreiftruppe, wobei die anderen Optionen offensichtlich nicht ausgeschlossen sind.
Warum lehnen Sie auch die Entsendung von Sanitätern nach Kroatien ab, Frau Beer?
Beer: Karadžić wartet doch nur auf die Chance, Belgrad wieder in den Krieg miteinzubeziehen. Bundeswehrsoldaten auf kroatischem Boden dienen seiner Propaganda. Er wird behaupten, Deutsche und Kroaten kämpften wie im Zweiten Weltkrieg wieder gegen die Serben. Alle drei Teile des Beschlusses – Sanitäter nach Kroatien, Transall-Transportflugzeuge, Einsatz von ECR-Tornados – helfen angeblich der Schnellen Eingreiftruppe zur Unterstützung der UN- Blauhelme. Von den Blauhelmen sagt Butros Ghali aber inzwischen, ihr Mandat sei gescheitert. Wenn die Blauhelme aber heute nicht mehr in der Lage sind, ihre Aufgaben – humanitäre Hilfe, Deeskalation und Neutralität – zu erfüllen, kann das doch nur heißen: Die Schnelle Eingreiftruppe bereitet den Rückzug der Blauhelme vor und riskiert dabei eine militärische Eskalation. Die einzige Chance, die Funktion des Peacekeeping für die Blauhelme wiederherzustellen, ist der Verzicht auf militärische Strategie und die Eingreiftruppe.
Schoppe: Angelika, das ist doch eine Legendenbildung um die Schnelle Eingreiftruppe. Das UN- Mandat ist für sie nicht verändert worden, sie machen nichts anderes als Peacekeeping. Ich befürworte ja eine Stärkung des UN-Mandats für Bosnien, um das leisten zu können, was man den Menschen in den Schutzzonen versprochen hat. Aber es hat sie nicht gegeben.
Befürchten Sie nicht, daß Angriffe deutscher Kampfflugzeuge auf serbische Stellungen eskalierend wirken?
Schoppe: Auch das ist keine einfache Frage. Aber in das Konzept des Bündnisses zur Stärkung der Unprofor passen diese Flugzeuge logisch hinein. Sie haben die Funktion, dem Aggressor Karadžić etwas mehr an Drohpotential entgegenzusetzen ...
Beer: Wer droht, muß auch schießen.
Schoppe: ... Mehr Drohpotential entgegenzusetzen, damit er bereit ist, sich auf Verhandlungen einzulassen. Daß alle Verhandlungen bisher gescheitert sind, liegt daran, daß wir es mit einem Aggressor zu tun haben, der die zivilen Formen der Regelung von Konflikten nur instrumentalisiert. Er muß gezwungen werden, sich an die Regeln zu halten.
Beer: Deine Argumentation zur Abschreckung kann ich nicht nachvollziehen. Wer Militär einsetzt, kann nur glaubwürdig bleiben, wenn er auch militärisch aktiv wird, sobald die Drohung alleine nicht mehr reicht. Das heißt praktisch, daß deutsche Tornados Bodenstellungen der bosnischen Serben angreifen. Auch die Schnellen Eingreiftruppen sind keine Polizisten mit Schutzhelmen, sondern gut trainierte Kampfsoldaten. Die Reaktion der Serben ist absehbar, die Zivilbevölkerung wird wieder Opfer sein. Die Spirale der militärischen Eskalation wird weitergedreht, aber keiner weiß, was denn eigentlich nach diesen Luftschlägen passieren soll. Die Enklaven werden auch danach noch beschossen werden, die Blauhelme müssen sich endgültig zurückziehen.
Bleibt als Alternative zur Stärkung der Blauhelme nicht nur die Empfehlung von Demut an die Bewohner Sarajevos?
Beer: Nein. Meine erste Empfehlung ist, alles, was militärisch eskaliert, rauszunehmen, vor allem die Schnelle Eingreiftruppe. Es bleibt nur der Versuch, in Verhandlungen zu erreichen, daß die Blauhelme als unparteiische Schlichter akzeptiert werden.
In der Fraktion gibt es eine dritte Meinung: Tornados nein, Lazarett und Logistik ja. Ist die Abstimmung eine Gewissensfrage?
Beer: Ich halte in dieser Frage nichts von einem Fraktionszwang. Ich hoffe, daß sich eine ganz deutliche Mehrheit der Verantwortung gegenüber der Partei und der außen- und innenpolitischen Folgen der Entscheidung bewußt ist. Eine Zustimmung zu dem jetzt absehbaren Kabinettsbeschluß wäre eine 180-Grad-Wende gegenüber unserer ganzen Programmatik. Wir müßten in der Konsequenz nicht nur Geld für die Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr bewilligen, sondern sogar deren Aufstockung fordern.
Schoppe: Das ist eine Gewissensfrage, und dementsprechend werde ich mich bei der Abstimmung auch verhalten. Es ist eine Zumutung, zu sagen, wir wären in dieser Frage auf das Programm festgelegt. Wer das fordert, hat das demokratische System, in dem wir leben, nicht verstanden.
Beer: Eine Gewissensentscheidung gestehe ich dir nicht zu, Waltraud. Du handelst nicht aus Verzweiflung, sondern willst eine programmatische Änderung grüner Positionen auf dem Rücken der Menschen in Bosnien. Von euch erwarte ich, daß ihr ganz klar sagt, daß es euch um die Änderung des Programms geht.
Schoppe: Das ist doch eine Argumentation von vorgestern. Das ist die Haltung: Am deutschen Wesen und besonders am grünen Wesen soll die Welt genesen. So zu tun, als wäre ein Programm etwas ganz Endgültiges, nicht zu sehen, daß sich in lebendigen Gesellschaften natürlich auch Programme wandeln ...
Wollen Sie das Programm ändern?
Schoppe: Ich will das Programm ändern. Weil ich glaube, daß sich die Situation Deutschlands nach 1989 so dramatisch geändert hat, daß die Grünen neu darüber nachdenken müssen, welche Rolle wir in dieser Welt spielen, welche Interessen wir verfolgen wollen. Ich wehre mich gegen alles, was einen Sonderweg Deutschlands begründet. Ich glaube, daß die Vorstellungen jener Grünen, die sich als Linke bezeichnen, isolierenden Charakter haben und in eine Sonderwegspolitik führen. Ihr verlangt, daß wir uns aus allem, was mit Soldaten zu tun hat, raushalten sollen, und geißelt jede Überlegung sofort als „Militarisierung der Außenpolitik“. Ihr seht nicht, daß Menschenrechte, die wir doch für universal erklärt haben, zur Not auch mit Androhung militärischer Gewalt verteidigt werden müssen. Ihr seht nicht, daß sie nur im Bündnis verteidigt werden können, daß wir dazu einen Beitrag leisten müssen, weil es einen Krieg mitten in Europa gibt.
Beer: Ich habe jedenfalls nicht als Grüne für den Bundestag kandidiert, um das CDU-Wahlprogramm neu zu schreiben.
Schoppe: Auf diesen Vorwurf habe ich noch gewartet.
Beer: Du benutzt die Formulierungen, die die Bundesregierung benutzt. Du instrumentalisierst die Frage der Menschenrechte, um Gewalt zu rechtfertigen. Wir Grüne haben gesagt, wir sind gegen die Ausdehnung der Nato, wir wollen sie abschaffen, indem wir sie in die OSZE auflösen. Wir haben gesagt, wir wollen langfristig die Abschaffung der Bundeswehr. Du willst die Bildung deutscher Krisenreaktionskräfte. Wo ist dein historisches Verständnis? Wir haben einen Sonderweg immer abgelehnt. Die Frage ist doch, ob man die Verweigerung einer militärischen Weltmachtoption als Sonderweg bezeichnet, oder ob das nicht gerade unser Versuch ist, durch eine Strategie der Einbindung Deutschlands in internationale Systeme, die sich selbst zu De- und Entmilitarisierung verpflichten, Sicherheit zu schaffen.
Schoppe: Was für mich das Schlimme ist, ist diese Naivität, mit der auch du, Angelika, hier die Bündnisse, die sich in der Nachkriegszeit bewährt haben, die eine stabilisierende Funktion haben, über Bord schmeißt. Es kommt doch nicht von ungefähr, daß die Osteuropäer in die Nato wollen.
Ist denn der komplizierte Konflikt in Bosnien und die anstehende Entscheidung der richtige Präzedenzfall, um diese Programmänderung anzuschieben?
Schoppe: Wir können uns das leider nicht aussuchen. Der Krieg in Bosnien ist existent, und die Bundestagsfraktion muß abstimmen. Die Verteidigung der Menschenrechte in Bosnien ist mir wichtiger als die Programmtreue.
Beer: Wir wollen unsere außenpolitischen Vorstellungen gesellschaftsfähig machen und in einer Regierungskoalition umsetzen. Wenn du, Waltraud, nun durch die Zustimmung zu einem Militäreinsatz in Bosnien die außenpolitische Koalitionsfähigkeit der Grünen mit der SPD herstellen willst, dann geht das an deinem Interesse zur Verteidigung der Menschenrechte aber weit vorbei.
An die Vertreterin der pazifistischen Tradition die Frage: Hat Waltraud Schoppes Position innerhalb der Grünen einen Platz?
Beer: Natürlich hat sie das. Diese Positionen sind in der Partei auf jeder Ebene vertreten, Kommunen, Europaparlament, Bundestag. Nicht nur die Bundestagsfraktion soll entscheiden. Diese Fragen dürfen nicht weiter unter den Tisch gekehrt werden. Die Partei muß einen Dialog ermöglichen – und zwar sehr schnell. Ich wünsche mir keine Sonder-BDK zu Bosnien, sondern einen außenpolitischen Parteitag, der alle Positionen zur Außenpolitik gründlich diskutiert.
Schoppe: Die Fragen gehen ja nicht nur die Grünen an. Ich sehe im Zusammenhang mit der Bosnien-Frage die Chance, einen gesellschaftlichen Dialog darüber zu beginnen, welches die Position eines zusammengewachsenen Deutschland in dieser Welt sein soll. Wir sind ein demokratischer Staat unter anderen demokratischen Staaten. Wir haben auch die Verantwortung, anderen Menschen zu helfen, die in Notsituationen sind. Hans Monath
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