piwik no script img

Türken, werdet Deutsche!

Deutscher Paß und Villa im Heimatland schließen sich für in Deutschland lebende Türkinnen und Türken künftig nicht mehr aus / Ein neues Gesetz erleichtert die Ausbürgerung aus der Türkei  ■ Von Hans Engels

Bielefeld (taz) – „Jetzt ist es Zeit, den Schritt in die deutsche Staatsbürgerschaft zu tun“, meint Cem Özdemir, der einwanderungspolitische Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion. Der Grund für seine Euphorie: In der letzten Woche erließ die türkische Regierung ein neues Gesetz, das im Ausland lebenden Türkinnen und Türken Ausbürgerung und Annahme einer neuen Staatsbürgerschaft erleichtert. Für die Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken und Kurden besteht mit den neuen Regelungen, für die die detaillierten „Ausführungsbestimmungen“ allerdings noch ausstehen, kein Grund mehr, der deutschen Forderung nach Ausbürgerung vor Einbürgerung nicht nachzukommen.

Wer sich ausbürgern lassen will, um eine andere Staatsangehörigkeit anzunehmen, verliert danach in der Türkei nicht mehr wie bisher seine Erbschaftsansprüche und Besitzrechte. Auch das Recht zur Arbeitsaufnahme in der Türkei bleibt bestehen. Außerdem sollen Jugendliche künftig nicht mehr verpflichtet sein, vor ihrer Ausbürgerung ihren Militärdienst in der Türkei abzuleisten. Wer sich einmal hat ausbürgern lassen, soll künftig innerhalb einer Dreijahresfrist seine türkische Staatsbürgerschaft wiedererlangen können. Die Neuregelung des türkischen Staatsangehörigkeitsrechts könnte in den kommenden Monaten für eine deutliche Zunahme der Einbürgerungsanträge von Türkinnen und Türken in der Bundesrepublik sorgen.

Mit Hilfe einer Einbürgerungskampagne will Cem Özdemir diese Entwicklung noch forcieren. Unter dem Motto „Gemeinsam ins Rathaus: Wir bürgern uns ein!“ startet heute in Bielefeld die erste dieser Kampagnen. Bereits im Vorfeld, so Bielefelds Bürgermeister und Mitorganisator Mehmet Kilicgedik, erklärten sich dort über 150 in Deutschland lebende TürkInnen, überwiegend Jugendliche, bereit, mitzumachen. Auch der Geschäftsführer des örtlichen Ausländerbeirats, Emir Ali Sag, ist „hundertprozentig sicher“, daß sich nun „viele angesprochen fühlen, weil garantiert keine Rechte verloren werden und der Militärdienst keine Rolle mehr spielt“. Dennoch vermuten Özdemir und Kilicgedik, daß viele innerhalb der türkischstämmigen Community skeptisch bleiben. „Egal, wie loyal die Einwanderer sich sonst verhalten: Der Glaube an die türkische Regierung ist in der Bevölkerung nach wie vor eingeschränkt“, meint Özdemir.

„Wollen die Türken sich darauf verlassen?“ fragt sich auch Faruk Sen, Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien. Der Reformschritt der türkischen Seite sei zwar zu begrüßen, Faruk Sen hält ihn jedoch für einen Trick, um in Deutschland „eine türkische Lobby zu gewinnen“. Gehe die Rechnung nicht auf, seien Gesetze schnell wieder änderbar. Aus- und Einbürgerung seien außerdem nicht nur eine „Vertrauenssache“ in bezug auf die Türkei, sondern auch auf die Bundesrepublik. Ehrlicher sei es da, die Einbürgerung durch Reform im Einwanderungsland zu erleichtern, mit Hilfe der doppelten Staatsbürgerschaft.

Der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir ist da anderer Meinung. „Viel entscheidender“ sei es, daß „Deutschland sich vom Blutsprinzip verabschiedet und aufhört, ständig neue Ausländer zu produzieren“. Der Doppel-Paß sei „keine Lösung über Generationen“, die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit werde automatisch „mit jeder Generation an Bedeutung verlieren“. Für die erste Generation in Deutschland lebender Türken habe sie hingegen noch eine sehr große Bedeutung.

„Die doppelte Staatsbürgerschaft ist eine Geste, besonders an die erste Generation hier lebender Türken, von der viele noch meinen, mit dem Paß gäben sie ihre türkische Identität auf.“ Insbesondere nach Mölln und Solingen, so Özdemir, sei eine solche politische Geste heute vonnöten. Es wäre ein Signal nach dem Motto: „Wir wollen, daß ihr dazugehört, und reichen euch die Hand.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen