: Freikarten-Sumpf in Charlottenburg
■ Sportamtsleiter forderte jahrelang Freikarten an / CDU-Stadtrat unter Druck / Landeskriminalamt ermittelt
Offenbar als Gegenleistung für die billige Vermietung bezirkseigener Hallen hat das Charlottenburger Sport- und Bäderamt jahrelang von Veranstaltern Freikarten angefordert. In dem spektakulären Fall, der bereits den Landesrechnungshof beschäftigte, ermittelt nun das Kommissariat für Korruption und Wirtschaftsdelikte beim Landeskriminalamt (LKA). Wie ein Polizeisprecher gestern bestätigte, wird dem Leiter des Sport- und Bäderamtes Vorteilnahme vorgeworfen. Möglicherweise bestehe auch der Verdacht der Untreue. Inwieweit „andere Bedienstete“ des Bezirksamtes in den Fall involviert sind, sei nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen „noch unklar“, so der Polizeisprecher.
Nach internen Schätzungen aus dem Charlottenburger Rathaus sollen von 1990 bis 1994 rund 1.000 Freikarten, stets der teuersten Preisklasse, vom Sportamt verlangt worden sein. Spektakulärster Fall: die Vergabe der Sporthalle Charlottenburg für eine Veranstaltung des Profi-Boxers Henry Maske am 6. März 1992. Wie der Landesrechnungshof in seinem neuesten Schlußbericht rügt, überließ das Sportamt dem Veranstalter „Sauerland Promotion“ die Halle zum Pauschalpreis von 10.000 Mark sowie 15 Freikarten der „1.-Platz-Kategorie“. Das Amt hätte nach der Sportanlagen-Nutzungsverordnung rund 50.000 Mark vom Veranstalter verlangen müssen. Auch in anderen Fällen, so bei der Vermietung der Halle für eine Kickbox-Veranstaltung im April 1992, wurde nach diesem Muster verfahren: 10.000 Mark Pauschale, 15 Freikarten. Wer die Karten erhielt – ob sie das Sportamt weitergab oder selbst verkaufte –, ist unklar.
Ein disziplinarrechtliches Vorermittlungsverfahren gegen den Sportamtsleiter wurde kürzlich von der Charlottenburger Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel (SPD) eingestellt. Der Jugend- und Sportstadtrat Axel Rabbach (CDU) hatte in den letzten Monaten seinen Mitarbeiter in Schutz genommen. Das Diszplinarverfahren gegen den Sportamtsleiter sei „ungerecht“, meinte er gestern gegenüber der taz. In den Rechts- und Verwaltungsvorschriften gebe es keinerlei Verpflichtung, ein Verzeichnis über Freikarten und deren Vergabe zu führen. Außerdem habe der Generalmietvertrag der Charlottenburger Sporthalle seit 1971 die Veranstalter verpflichtet, jeweils 10 bis 15 Freikarten an das Sportamt abzugeben. Diesen Passus ließ Rabbach – allerdings erst nach der Kritik des Landesrechnungshofes – im Frühjahr 1994 streichen.
Die jetzt verfügte Einstellung des Disziplinarverfahrens gegen den Sportamtsleiter ist ein unüblicher Vorgang: In der Regel wird der Abschluß der strafrechtlichen Untersuchungen – in diesem Fall durch das LKA – abgewartet. Bezirksbürgermeisterin Wissel wollte sich gestern gegenüber der taz weder zur Freikarten-Affäre noch zur Einstellung der Vorermittlungen äußern. Statt dessen schickte sie ihre Sekretärin vor: „Über Personalangelegenheiten geben wir grundsätzlich keine Auskunft.“ Wissels Beschluß könnte nun nur noch durch Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) aufgehoben werden, der bei allen Disziplinarverfahren das letzte Wort hat. Dort liegen die Akten seit rund zehn Tagen, die Entscheidung steht noch aus. Eine Richtlinie der Innenverwaltung untersagt allerdings Behördenmitarbeitern die Annahme von Geschenken im Rahmen dienstlicher Tätigkeiten. Dies gilt auch für Freikarten.
Sportstadtrat Rabbach, der auf dem aussichtsreichen Platz 3 der CDU Charlottenburg für das Abgeordnetenhaus kandidiert, will in den Pauschalverträgen keinen schwerwiegenden Fehler erkennen. Zwar sei gegen Verwaltungsvorschriften verstoßen, zugleich aber „flexibel“ gehandelt worden. Dabei habe man aus der Vergangenheit gelernt. So sei vor Jahren ein Boxveranstalter gepfändet worden, der Bezirk letzlich leer ausgegangen: „10.000 Mark auf die Kralle sind mir lieber als gar nichts.“ Severin Weiland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen