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Vorwärts ins MittelalterGebühr bezahlt Empfängerin

■ Koalition und SPD einigen sich auf neues Abtreibungsrecht: Nur die Ärmsten müssen einen Abbruch nicht selbst bezahlen

Bonn (taz) – Frauen, die mehr als 1.700 Mark in den alten Bundesländern und 1.500 Mark in den neuen Ländern verdienen, müssen Abtreibungen künftig selbst bezahlen. Nur wer weniger Geld verdient, kann noch damit rechnen, daß die Krankenkasse einen Schwangerschaftsabbruch bezahlt. Die Länder sollen diese Kosten anschließend den Kassen erstatten. Dies ist Bestandteil des neuen Abtreibungsrechts, auf das sich die VerhandlungsführerInnen von SPD, FDP und CDU/CSU gestern geeinigt haben. Der Parteienkompromiß legt außerdem fest, daß die Beratung ausdrücklich dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen und die Frau zu einer Fortführung der Schwangerschaft ermutigen soll. Lediglich im beratungsrechtlichen Teil des Gesetzentwurfs sind die Entwürfe von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingeflossen, wonach die Beratung „ergebnisoffen“ geführt werden sollte. Prinzipiell bleibt eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn die Schwangere sie verlangt und beraten worden ist. Fünf Jahre Haft droht dagegen jenen, die eine Schwangere zur Abtreibung drängen oder nötigen. Dies gilt auch dann, wenn Partner der Frau drohen, sie finanziell nicht weiter zu unterstützen, wenn sie das Kind austrägt.

Der Parteienkompromiß sieht auch vor, die „embryopathische Indikation“ abzuschaffen, so daß Schwangerschaftsabbrüche, die mit einer zu erwartenden Behinderung des Kindes begründet werden, künftig nicht mehr Rechtens sind. Diese Indikation wurde stets von Behindertenverbänden und der katholischen Kirche scharf kritisiert. Als rechtmäßige Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch sollen in Zukunft nur noch die medizinische und die kriminologische Indikation gelten, das heißt, entweder ist durch die Schwangerschaft die Gesundheit der Frau gefährdet, oder die Schwangerschaft ist das Resultat einer Vergewaltigung. Wer aufgrund einer Indikation abtreibt, bekommt den Abbruch auch weiter von den Krankenkassen bezahlt. Abgeschwächt wurde der Entwurf von CDU und CSU hinsichtlich der geplanten ärztlichen Pflichtverletzung. Mediziner müssen nicht die Gründe für einen Abbruch abfragen. Es reicht nun, wenn sie den Frauen „Gelegenheit“ geben, ihre Motive darzulegen.

Die Grünen haben an den jüngsten Gesprächen nicht mehr teilgenommen. Sie werden der Neuregelung nicht zustimmen. Der Abschaffung der „embryopathischen Indikation“ stimmen sie allerdings zu: „Es soll nicht der Eindruck entstehen können, behindertes Lebens sei minder wertes Leben“, so die frauenpolitische Sprecherin, Rita Grießhaber. Die Verhandlungsführerin der SPD, Inge Wettig-Danielmeier, hält die neue Regelung für „einen tragfähigen Kompromiß“. Immerhin ginge es darum, nicht immer wieder aufs neue das „Bundesverfassungsgericht zum Schiedsrichter in Sachen Abtreibung zu machen“. Der stellvertretende Geschäftsführer von pro familia, Joachim von Baross, hält den Antrag zum neuen Abtreibungsrecht dagegen „für einen faulen Kompromiß“. Schon am Freitag soll voraussichtlich der Bundestag – ohne Fraktionszwang – über das Gesetz entscheiden. Karin Nink/flo;

Illustration: Atelier Doppelpunkt

Kommentar Seite 10

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