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„Die Polizei befindet sich da auf dem Holzweg“

■ Wolfgang Neugebauer, der Leiter des renommierten Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands in Wien, über Urheberschaft und Ermittlungstätigkeit

taz: Herr Neugebauer, wer steckt hinter den Brief- und Rohrbomben?

Neugebauer: Wir orientieren uns bei unserer Interpretation sowohl an der Auswahl der Opfer als auch an den Bekennerschreiben zu diesen Bombenanschlägen. Aus beiden ergibt sich eindeutig, daß die Täter Rechtsextremisten sind. Das sind Leute, die extrem deutschnational, ausländer- und minderheitenfeindlich sind. Die wollen ganz gezielt diejenigen treffen, die in ihren Augen für dieses System und die sogenannte „Umvolkung“ verantwortlich sind.

Im österreichischen Innenministerium hat man aber ein Täterprofil erstellt, das eine Urheberschaft der Rechtsextremisten ausschließt.

Dem kann ich in keiner Weise beipflichten. Im Gegenteil, es sind alle Elemente des klassischen Rechtsextremismus in den jüngsten Bekennerschreiben deutlich sichtbar. Zudem sind eindeutig neonazistische und antisemitische Einflüsse erkennbar. Ich denke etwa an die Schreibweise „Szimon Wizenthal“. Diese diffamierende Schreibweise hat der österreichische Neonazi Gerd Honsik geprägt. Dessen Publikationen gehen nur an einen kleinen Kreis von Sympathisanten des Neonazismus.

Aus der Tatsache, daß die Täter kein Großdeutschland fordern und keine Auschwitz-Leugnung betreiben, folgern sie nicht, daß man es hier mit anderen Leuten zu tun hat?

Wieso sollen die keine großdeutsche Orientierung haben? Anders wäre doch der Anschlag in Lübeck in keiner Weise plausibel. Wenn sie ihr Operationsgebiet nur auf Österreich und bestenfalls auf Süddeutschland, den bajuwarischen Raum also, beschränkten, ergäbe dies ja keinen Sinn.

Bezieht die Bajuwarische Befreiungsarmee aus der Schwäche der Staatspolizei „ihre unheimliche Stärke“, wie das Nachrichtenmagazin profil behauptet?

Es wäre jetzt übertrieben, zu sagen, die Stapo ist so gut. Dann wären ja die Täter schon in Haft. Die Dinge sprechen eigentlich für sich. Es gibt undichte Stellen, geradezu einen Unwillen, rechtsextremen Einflüssen entgegenzutreten. Die Versäumnisse der Exekutive im Umgang mit Rechtsextremisten gehen ja schon Jahrzehnte zurück. Leute wie Gottfried Küssel oder Schimanek haben ja mindestens zehn oder 15 Jahre ungestraft agieren können. Erst seit 1992 ist man – auch unter dem Eindruck der ausufernden Gewalttaten in der Bundesrepublik – schärfer gegen die Neonazi-Szene vorgegangen.

Es ist immer wieder die Rede von rechten Gruppen innerhalb des Polizeiapparats. Sind Ihnen solche bekannt?

Aus den Personalvertretungswahlen ist ersichtlich, daß eine der „F“ nahestehende Gruppierung stark zugenommen hat. Bei der Wiener Polizei liegen sie schon bei über 30 Prozent. Das sind keine Leute, die liberal-freiheitlich denken. Im Gegenteil, da sind viele Gewalttäter darunter. Bei der Polizei muß endlich eine umfassende Reform passieren. Da müssen Leute hin, die politisch verläßlich sind und mit Rechtsextremismus und der „F“ nichts zu tun haben.

Es gab eine Vielzahl von Pannen und Fehlern bei den bisherigen polizeilichen Ermittlungen. Ist dieses Täterprofil ein neuerlicher Fehler?

Meiner Auffassung nach schon. Die Polizei befindet sich da völlig auf dem Holzweg. Man redet inzwischen sogar von einem christlichen Neonazismus. Das ist Meilenweit von der Realität entfernt. So etwas gibt es in Österreich nicht. Vielleicht haben die Leute den Roman „Opernball“ gelesen und verwechseln das mit der Wirklichkeit.

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