: Unvoreingenommen verschlafen
■ Kirch bringt den digitalen Decoder. Die Konkurrenz, von ARD über RTL bis Telekom, debattiert noch
Wenn nicht alles täuscht, dann wird die Kirchgruppe beim Einstieg ins digitale Fernsehen ihren Konkurrenten einen entscheidenden Schritt voraus sein. Noch vor ein paar Monaten hatte die Telekom vollmundig angekündigt, zur Internationalen Funkausstellung Ende August werde der nötige Decoder („Set-Top-Box“) präsentiert. Doch bisher gibt es nicht mehr als das „Memorandum of Understanding“ für eine „Multimedia Betriebsgesellschaft“. An dem Konsortium sind neben der Telekom auch RTL, Bertelsmann, CLT und Canal Plus sowie ARD und ZDF beteiligt. Vereinte Kraft? Mitnichten. Sie werden auf der Funkausstellung noch nicht einmal ein „abschließendes Konzept“ für einen Decoder vorstellen. Das räumte der ARD-Vorsitzende Albert Scharf am Dienstag auf Nachfrage der taz ein.
So sieht denn alles danach aus, daß Konkurrent Kirch die Nase vorn haben wird. Dort will man im Alleingang auf die Decoder des finnischen Konzerns Nokia setzen. Während das konkurrierende Konsortium, so Scharf, immer noch „unvoreingenommen“ die technischen Möglichkeiten prüft.
Auch der Gesellschaftervertrag ist noch längst nicht unterschriftsreif. Den ARD-Intendanten haben dazu auf ihrer Potsdamer Tagung zwar Vorschläge vorgelegen, doch werde, so Scharf, noch über die jeweils notwendigen Mehrheiten verhandelt. Offenbar hätten ARD und ZDF, die jeweils nur 7,5 Prozent bekommen sollen, gegenüber den Privaten (jeweils 7,5 oder 15 Prozent) und der Telekom (35 Prozent) gern eine Sperrminorität.
Daß „in dieser Gruppe die notwendige Dynamik fehlt“, meint nicht nur Kirch-Geschäftsführer Gottfried Zmeck im Interview mit dem Branchendienst text-intern. Aus Privatsendern, die am Konsortium selbst beteiligt sind, ist hinter vorgehaltener Hand ähnliches zu hören. Möglicherweise löst sich auf diese Weise auch das Problem der Verbraucher: „Welchen Decoder (Preis: rund 1.000 Mark) kaufe ich?“ Ist Kirch nämlich schon auf dem Markt, während die Konkurrenz noch die technischen Alternativen prüft (Scharf: „inklusive des Nokia-Systems“), dann dürfte sich die Macht des Faktischen durchsetzen. Zumal Nokia immer attraktiver wird: Gerade hat der Konzern angekündigt, sich mit Philips und Sony für eine Multimedia-CD zusammenzutun, die im Herbst 96 auf den Markt kommen soll.
ARD beharrt auf Werbung nach 20 Uhr
In Sachen Rundfunkgebühren zeigte sich der ARD-Vorsitzende Scharf nach der Potsdamer Intendantentagung zufrieden: Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Anstalten werde im Spätherbst ihren Bericht vorlegen, und die Ministerpräsidenten der Länder hätten ihrerseits einen Zeitplan verabschiedet, so daß die erhöhten Rundfunkgebühren pünktlich zum 1.1.97 in Kraft treten könnten. Gerne zitierte er bei dieser Gelegenheit Brandenburgs MP Manfred Stolpe, der gerade die Sparmaßnahmen der ARD gelobt hat („manche Politiker, die darüber so leichtfertig reden, müßten eigentlich neidisch sein“) und der die Gebührenerhöhung unterstützen will.
In gewohnter Aufgeregtheit reagieren die ARD-Oberen dagegen auf die Forderung, sie sollten auf Werbung verzichten. Der Vorsitzende der Konferenz der Gremienvorsitzenden, Wilhelm Fritz vom Bayerischen Rundfunk, schoß dabei allerdings ein halbes Eigentor, als er vorrechnete, bei einem Verzicht auf Werbung müßte die Rundfunkgebühr schon heute 3,50 Mark höher liegen. Für ein nicht mehr durch Spots gestörtes Programm wäre das schließlich keine Unsumme. (Auch wenn Fritz, leicht kryptisch, hinzufügte, bei einem bisher akzeptierten Verhältnis zwischen Gebühren und Werbung von 80:20 kämen noch 7 bis 8 Mark hinzu...)
Auf verlorenen Posten gar stehen die ARD-Gremien mit ihrer einstimmigen Forderung, künftig auch nach 20 Uhr Werbung ausstrahlen zu dürfen. Zwar fuhren sie zu ihrer Unterstützung noch einen Vertreter des „Markenverbandes“ der Werbetreibenden auf. Wolfgang Hainer erläuterte, daß seine Lobby besonders scharf darauf ist, die ARD-ZDF-Zielgruppe mit überdurchschnittlich hoher Bildung auch nach 20 Uhr zu erreichen. Dummerweise hatte schon eine Woche zuvor der ARD-Vorsitzende zugegeben, daß dies zur Zeit politisch ohnehin nicht durchsetzbar ist. Michael Rediske
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