: Fünf Jahre echtes Geld
Am 1. Juli 1990 kam die Währungsunion, eine Mark Ost war eine Mark West – Wirtschaftler meinen, eins zu vier wäre besser gewesen ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Begeistert lachende Leute mit D-Mark-Scheinen posieren vor Kameras, andere brechen im Gedränge zusammen. Das Rote Kreuz hat viel Arbeit in der Nacht zum 1. Juli 1990, als die Deutsche Bank am Berliner Alexanderplatz als erste Filiale den Ostdeutschen zum eigenen Westgeld verhilft.
Alle führenden WirtschaftswissenschaftlerInnen warnten damals vor dem unausweichlichen Zusammenbruch der DDR-Industrie: Die Mark der DDR sei zu stark bewertet. Selbst starke Ökonomien wie die westdeutsche oder japanische könnten eine 300- bis 400prozentige Aufwertung nicht ohne Massenpleiten überstehen. Sie plädierten deshalb für eine langsame Annäherung. Die aber hätte – ohne eine neue Mauer – zu einer Massenflucht aus der DDR geführt. Gab es eine andere Möglichkeit als die überstürzte Währungsunion?
„So lieb es mir theoretisch gewesen wäre – es bestand keine Alternative zum monetären Urknall“, urteilt heute Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel von der Uni Bremen und Mitglied der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“. Die DDR-Mark wäre zu diesem Zeitpunkt nicht mehr stabilisierbar gewesen. „Man hätte immer nur gutes Geld hinter schlechtem hergeworfen.“
Problematisch aus wirtschaftlicher Sicht war bei der Währungsunion vor allem der Umstellungskurs von eins zu eins bei den Löhnen, den die MontagsdemonstrantInnen in Leipzig lautstark gefordert hatten und auf den sich die Bundesregierung trotz massiver Warnungen von Bundesbankpräsident Pöhl schließlich eingelassen hatte.
So aber erhöhten sich die Kosten der DDR-Betriebe schlagartig, ohne daß ihre sowieso schon weit unter Weltmarktniveau liegende Produktivität zugenommen hätte: Viele Waren waren unter diesen Bedingungen nicht konkurrenzfähig. Und auch der West- Touch fehlte ihnen. Mercedes-Limousinen, Marmeladengläser und Mentholbonbons aus der Bundesrepublik eroberten auf der Stelle den DDR-Markt – die Währungsunion war zunächst ein riesiges Konjunkturprogramm für die westdeutsche Industrie.
Marcel Stremme vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vermutet, daß ein Umtauschsatz von 4,43 aus ökonomischer Sicht realistischer gewesen wäre. „Bei einem noch höheren Kurs hätten ostdeutsche Produkte konkurrenzfähig bleiben können.“ Stabile Löhne vorausgesetzt, wäre die Arbeitslosigkeit in diesem Fall kaum so massiv geworden. „Nicht die Währungsunion, sondern die Lohnsteigerung ist die Hauptursache für die Deindustrialisierung“, lautet seine Analyse. Doch wovon hätten die Ossis dann leben sollen? „Selbst bei einer Halbierung der Löhne auf durchschnittlich 500 Westmark wäre es wohl zu Revolten gekommen“, vermutet der Berliner Volkswirtschaftsprofessor Jan Priewe.
Die Verantwortlichen in Bonn begriffen viel zu spät, daß unmittelbar nach der Tauschaktion eine Wirtschaftspolitik nötig gewesen wäre, die den Währungsschock abfedert. Anstatt der Treuhand einen Sanierungsauftrag zu geben und den Betrieben damit Zeit zur Anpassung zu lassen, setzte die Regierung einzig auf die Segnungen einer Privatisierung. Eine Entschuldung der Betriebe fand meist erst statt, wenn ein Investor angebissen hatte; bis dahin waren die Firmen fast handlungsunfähig. Großunternehmen wurden zerlegt und gewachsene Lieferbeziehungen zerstört. Eine ernsthafte Regionalpolitik gab es nicht. Ob die erst spät gegebene Bestandsgarantie für industrielle Kerne sinnvoll war, wird erst in ein paar Jahren daran zu erkennen sein, wieviel Zulieferbetriebe sich in der Umgebung angesiedelt haben. Fällt die Bilanz mager aus, waren die Subventionen für die ehemaligen Kombinate ein extrem teurer Erhalt von letztlich nur wenigen Jobs.
Obwohl es auch Finanzminister Theo Waigel bald dämmerte, daß der Umbau der DDR-Wirtschaft Hunderte von Milliarden kosten würde, verzichtete die Regierung lange auf Steuererhöhungen. Zunächst erschien ihr die Belastung der BürgerInnen wegen der anstehenden Bundestagswahl nicht opportun, später fürchtete sie den Vorwurf der Steuerlüge. So wuchs der Schuldenberg ständig an. Heute geht jede fünfte Steuermark für Zinsen und Tilgung drauf.
Um die Ansiedlung neuer Betriebe zu fördern, griff die Regierung in die Instrumentenkiste der alten Bundesrepublik. „Durch Sonderabschreibungen und Investitionszulagen wurden große, automatisierte Fabriken gefördert und nicht Arbeitsplätze“, kritisiert Alexander Juchems vom Münchner Ifo-Institut. Staatliche Zuschüsse auf die Löhne wären jedoch wesentlich sinnvoller gewesen, um den neuen Ländern zu einem Wirtschaftswachstum mit neuen Jobs zu verhelfen.
Außerdem kamen so vor allem reiche Wessis zu neuem Vermögen, während viele ExistenzgründerInnen in den neuen Bundesländern bis heute unter Kapitalmangel leiden. „Das Eindringen in überregionale Märkte ist die Basis für eine ausreichende Gewinnsituation, wie umgekehrt ein ausreichendes finanzielles Polster notwendig ist, um den Atem für das Eindringen in fremde Märkte zu haben“, beschreibt der Strukturwandel-Experte vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Joachim Ragnitz, das Dilemma vieler ostdeutscher Firmen.
Aber auch große Teile der Immobilienwirtschaft, vor allem überdimensionierte Einkaufszentren und Büro-Glaspaläste, sind aufgrund der staatlichen Förderpolitik in der Hand von Westdeutschen. Die Gebäude stehen zwar häufig leer oder müssen weit unter dem kalkulierten Preis vermietet werden, so daß die Investoren ihre Steuerersparnis oft wieder als Verluste zubuttern müssen. Den Schaden dieses viel zu kapitalintensiven Aufschwungs tragen aber vor allem die westdeutschen LohnempfängerInnen, die per Solidaritätszuschlag das Steuerloch auffüllen müssen. Insgesamt sparten Investoren im Osten 1991 und 1994 rund 28 Milliarden Mark an Steuern. Außerdem stellte der Bund ihnen 22 Milliarden Mark an Investitionszuschüssen und 52 Milliarden an zinsverbilligten Krediten zur Verfügung. Ein Teil davon kam allerdings auch ost- und westdeutschen Mittelständlern zugute, bei denen heute etwa die Hälfte aller JobinhaberInnen auf den Gehaltslisten stehen.
Während die neuen BundesbürgerInnen beim Vermögen wohl auf lange Zeit hintanstehen werden, haben sie bei den Einkommen schon massiv aufgeholt: Ein durchschnittlicher Osthaushalt hat preisbereinigt etwa drei Viertel der Einnahmen des Pendants im Westen. Dabei werden nur 60 Prozent der Waren und Dienstleistungen, die in den neuen Bundesländern konsumiert werden, auch dort erwirtschaftet.
Rund 200 Milliarden Mark Subventionen und Investitionen pumpen die alten Länder jährlich zu den Brüdern und Schwestern in den Osten. Und das wird, wenn auch in Zukunft etwas abgeschwächt, noch lange so bleiben. Der Aufschwung, mit jährlichen Wachstumsraten von 7,5 Prozent von allerdings sehr niedrigem Ausgangsniveau, trägt sich noch nicht selbst.
Die Zahl der Jobs wird kaum wachsen – dennoch soll die Arbeitslosigkeit sinken. Der Arbeitsmarkt, da sind sich alle einig, „verwestlicht“ im nächsten Jahrtausend. Die PolitikerInnen vertrauen darauf, daß sich immer weniger Frauen erwerbslos melden. „Das Unterbeschäftigungsniveau ist ganz offensichtlich Ausdruck einer überdurchschnittlich hohen Erwerbsneigung in den neuen Bundesländern“, definiert der Hallenser Ragnitz das Problem. Noch wollen 82 Prozent der Menschen im arbeitsfähigen Alter einen Arbeitsplatz; in Westdeutschland sind es lediglich 70 Prozent.
Weil Frauen auch im Osten bei den Erwerbstätigen unter- und bei den Arbeitslosen überrepräsentiert sind, hoffen viele Verantwortliche darauf, daß sie über kurz oder lang resignieren und so aus der Statistik fallen.
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