: Wachsendes Vertrauen in die deutsche Balkan-Politik
■ War die Bonner Außenpolitik hinsichtlich Ex-Jugoslawien seit Beginn des Krieges inkonsistent, blieb die humanitäre Hilfe für die Opfer auf hohem Niveau
Wenn über die Rolle Deutschlands auf dem Balkan gesprochen wird, sind Emotionen im Spiel. Schon vor dem Krieg warfen serbische Politiker der deutschen Regierung vor, eine Einflußsphäre in Osteuropa anzustreben. Mit der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens – die nach anfänglichem Zögern seit Oktober 1991 vom damaligen Außenminister Genscher betrieben und im Januar 1992 Fakt wurde – schien Deutschland diesen Befürchtungen sogar zu entsprechen. In Großbritannien und Frankreich ging damals die Angst vor einer deutschen Hegemonie um. Nicht zuletzt deshalb zögerten die Regierungen beider Länder, die serbische Politik des Krieges in Kroatien und Bosnien-Herzegowina entschieden zu verurteilen.
Seit der Anerkennungsdebatte nun haben Außenminister Kinkel und Bundeskanzler Kohl mit Erfolg versucht, die deutsche Balkanpolitik in die der EU und der UNO einzubetten. Daß dies zunächst Sympathien in Bosnien und Kroatien kostete, störte beide im Jahre 1992 kaum. Um nicht weiter bei den europäischen Verbündeten anzuecken, übernahmen sie sogar das von den USA kritisierte Verdikt des Waffenembargos.
Erst mit dem Beginn des „Krieges im Kriege“ im April 1993 zeigte die deutsche Politik neue Konturen. Nachdem Kroatien versucht hatte, einen Teil Bosnien- Herzegowinas zu erobern, protestierte Kinkel im Mai 1993 scharf. Damit war das deutsch-kroatische Verhältnis vorerst abgekühlt, während Bosnien sich guter Beziehungen zu Bonn erfreute. Erst als Deutschland gemeinsam mit den USA den kroatischen Rechtsanspruch auf die Rückgabe der von Serben besetzten Gebiete Kroatiens unterstützte, verbesserte sich das deutsch-kroatische Verhältnis wieder. Im Herbst 1993 begannen die Gespräche zwischen Zagreb, Sarajevo, Bonn und Washington über die Beendigung des kroatisch-bosnischen Krieges. Das Washingtoner Abkommen vom März 1994 und damit das Ende des „Krieges im Kriege“ war Ergebnis dieser Verhandlungen.
Angesichts dieser Strategie wuchs das Vertrauen in die deutsche Politik. Die Deutschen wurden Mitglied der Kontaktgruppe (zusammen mit den USA, Rußland, Großbritannnien und Frankreich), die seit Sommer 1994 die diplomatische Initiative ergriff. Mit Hans Koschnick wurde im Sommer 1994 ein Deutscher EU-Administrator in Mostar. Die Deutschen blieben mit den USA treibende Kraft für die Installierung der bosnisch-kroatischen Föderation. Viele Verhandlungen fanden in Deutschland statt (Petersberger Abkommen, April 1995). Eine Kommission aus deutschen und US-Diplomaten soll beide Seiten beraten; der CDU-Bundestagsabgeordnete Schwarz-Schilling wurde kürzlich zum Abgesandten der Bonner Regierung in der Föderation ernannt. Und schließlich ließen sich die Deutschen von der EU in die Schnelle Eingreiftruppe einbinden. Schwankte also die Intensität der deutschen Außenpolitik in Ex-Jugoslawien seit Beginn des Krieges, die humanitäre Hilfe für die Opfer blieb stets auf relativ hohem Niveau. Vom Auswärtigen Amt (AA) allein wurden von 1991 bis 1995 insgesamt rund 100 Millionen Mark aufgewendet, die über die „Deutsche Humanitäre Hilfe“ in Zagreb abgewickelt werden. Zwei Drittel der Gelder gehen nach Bosnien.
NGO-Engagement kommt Außenpolitik zugute
Mit dem Aufbau des „Deutschen Konvois“ im Herbst 1993 wurde eine verläßliche Infrastruktur für die Bosnienhilfe und die deutschen Projekte dort geschaffen. In diesem Jahr sind es 21,7 Millionen des AA, hinzu kommen 17,7 Millionen des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, die für Projekte der GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) aufgewendet werden. Weiterhin fließen jährlich Gelder in dreistelliger Millionenhöhe von seiten der EU in die UNO-Hilfsorganisation UNHCR und in Projekte kleinerer Hilfsorganisationen, die von Deutschland als dem größten Beitragszahler in der EU mitfinanziert werden.
Mit großem Engagement haben sich die Regierungsunabhängigen Hilfsorganisationen (NGO) hervorgetan. Von den klassischen Hilfsorganisationen Caritas, Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Arbeiterwohlfahrt und Arbeitersamariterbund bis zu regionalen Initiativen reicht die Palette der deutschen Hilfsorganisationen, die zusammen über 100 Millionen Mark an Spendengeldern für die Kroatien- und Bosnienhilfe aufgebracht haben. Eigens gegründete Organisationen und konkrete Projekte wie die „Brücke der Hoffnung“ (Marie-Luise Beck, Hilfe für Tuzla), „Keine Mauer durch Sarajevo“ in Berlin, die Flüchtlingshilfe Martin Fischers in Zagreb, „Schüler helfen Schüler“ in Mostar, die Frauentherapiezentren „Medica“ in Zenica, „Viva Zene“ und das Frauenhaus von Ferida Meyer, Rupert Neudecks Cap Anamur mit mehreren Projekten in beiden Ländern, die „Deutsch-bosnisch- herzegowinische Gesellschaft“, die „Deutsche Hilfe BiH“ (Christian Schwarz-Schilling, Freimut Duve) und knapp 30 weitere Organisationen sind in den Kriegsgebieten aktiv. Darüber hinaus haben 200 regionale Initiativen, die keine Projekte vor Ort machen, erhebliche humanitäre Hilfe geleistet.
Letztlich kommt das Engagement dieser Organisationen, auch wenn sie gar nicht wollten, der deutschen Außenpolitik zugute. In Bosnien-Herzegowina und Kroatien wird zudem positiv registiert, daß Deutschland die meisten Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten aufnimmt. An die 400.000 Menschen haben trotz der Erschwernisse durch die Asylgesetzgebung allein aus Bosnien-Herzegowina Zuflucht in Deutschland gefunden – darunter auch bosnische Serben. Nicht zuletzt diese Politik, so meinen einige Politiker in der Region, würde Deutschland in ihren Ländern Sympathien einbringen. Und sollte Deutschland darüber hinaus schon jetzt direkte Wirtschaftshilfe vor allem in Bosnien-Herzegowina leisten, könnte es bezüglich des bosnisch-kroatischen Konflikts weiterhin entscheidend zur Befriedung beitragen. Erich Rathfelder, Split
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