: Vor der eigenen Tür kehren
■ Gegen den Mythos vom deutschen Judenfeind / Interview mit Moshe Zimmermann
Wäre Moshe Zimmermann nicht ausgerechnet Professor für deutsche Geschichte, fände er in Israel wohl weniger Gehör. Aber weil das Bild vom deutschen Judenfeind das kollektive Bewußtsein der Israelis stark prägt, hört man ihm kritisch zu, wenn er wieder einmal Vergleiche zwischen Israel und Deutschland zieht – und empört sich umso heftiger. Dennoch gab der Wissenschaftler am Montag Entwarnung, als er auf Einladung der „Bremer Freunde Israels“ über die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sprach: „Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel normalisieren sich“.
taz: Sie beobachten, daß das Stereotyp vom deutschen Judenfeind, dem Amalek, sich in Israel verfestigt – statt sich zu differenzieren. Was bedeutet das?
Moshe Zimmermann: Jede Geschichte mythologisiert, indem sie vermittelt, was man selbst nicht erfahren hat. Das betrifft die Französische Revolution ebenso wie den Holocaust. Trotzdem ging es nicht um Legenden, als man in Israel diese Identität deutsch und Nazi als Einheit erzeugte. Schuld daran hat Hitler selbst und seine Entourage. Da der Holocaust aber in der kollektiven Erinnerung der Israelis eine zentrale Rolle spielt, ist es besonders schwierig, über die Stereotypen hinwegzukommen.
Was bedeutet das für die Beziehung der beiden Länder heute?
Daß man bei jedem Diskurs die Nazi-Vergangenheit heraufbeschwört – was eine fast schizophrene Haltung gegenüber Deutschland erzeugt. Die meisten Israelis kennen das Deutschland von heute, das anders ist als Deutschland vor '45 und nehmen die Unterschiede auch wahr. Aber sie können sich gleichzeitig nicht von der alten Vorstellung des Deutschen distanzieren.
Inwieweit wird dieser Mythos funktionalisiert?
Alle Mythen werden instrumentalisiert. Wir Historiker schreiben und forschen – aber was Geschichte hinterher für die Öffentlichkeit bedeutet, ist nur, was man durch Instrumentalisierung geschaffen hat. Man lernt Geschichte, auch die Geschichte des Nationalsozialismus oder des Holocaust, um etwas zu bewirken. Es kann eine segensreiche oder eine verheerende Instrumentalisierung sein.
Sie haben in einem Zeitungsinterview im Mai die Erziehung von Kindern von Siedlern in Hebron mit dem Drill der Hitlerjugend verglichen – und wußten genau, welche sensiblen Punkte Sie berühren. Zählt das zur Kategorie der segensreichen Instrumentalisierung?
Das hängt davon ab, welche Wertvorstellungen man hat. Meine sind liberal und human, also segensreich für eine Gesellschaft, die auch human und liberal sein will. Ich versuche, inhumane, antidemokratische Strömungen bei uns zu kritisieren – wobei nicht alle inhumanen, illiberalen Ideologien mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen sind. Aber es gibt ein Potential – und auf dieses muß man hinweisen. Es ist wichtig, wenn man die Geschichte des Nationalsozialismus lernt, zu betonen, wie sich Dehumanisierung schrittweise entwickelt. Man kann nie sagen, es ist eigentlich nur eine harmlose Ideologie oder nur ein kleine Gruppe. Bei meinem Vergleich mit der Hitlerjugend beispielsweise habe ich eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen bewertet – nicht die israelische Jugend. Aber aus dieser Gruppe kamen Stimmen, die Baruch Goldstein, der für das Massaker in Hebron verantwortlich war, hoch schätzten. Wenn Kinder im Alter von 12 oder 14 Jahren meinen, daß er ein Held war, ist das alarmierend. Ein Historiker kann nicht ein Fachidiot bleiben und nur über die Themen sprechen, zu denen er geforscht hat.
Welche Schritte müssen die Menschen beider Länder gehen, um zu einer größeren Normalität zu kommen?
In Israel gibt es keine großen Differenzen zwischen der politischen Elite und der öffentlichen Meinung. In Deutschland ist es anders, hier ist die Diskrepanz größer: die politische Elite muß immer die Vergangenheit ritualisieren. In der Öffentlichkeit ist man eher bereit, einen Schlußstrich zu ziehen.
Aber man darf die israelische Meinung in Bezug auf Deutschland nicht pauschalieren. Es gibt sehr große Unterschiede. Den größten macht die Religiosität. Je frommer man im Judentum ist, desto ablehnender ist man gegenüber Deutschland.
Die „Zeit“ hat geschrieben, daß Sie in Deutschland wahrscheinlich beliebter sind als in Israel...
In Israel werden meine kritische Bemerkungen von einem breiten Publikum nicht akzeptiert. Aber ich fürchte, meine Beliebtheit in Deutschland rührt daher, daß man zufrieden feststellt, daß auch ein Israeli etwas sagen kann, was auf dem rechten Flügel Beifall bekommt. Davor habe ich Angst, deshalb betone ich: Ich setze mich auseinander mit einer bestimmten Richtung innerhalb der israelischen Gesellschaft. Die ist nicht für die gesamte Gesellschaft repräsentativ. Aber es ist meine erste und wichtigste Aufgabe, für meine Landsleute etwas zu bewerkstelligen. Der Prophet muß vor der eigenen Türe kehren.
Fragen: Eva Rhode
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