: Falsche Strategien der Verwünschung
■ Der französische Philosoph Bernard-Henri Lvy über die Front National, Neofaschismus und den Sinn von Kulturboykotten
taz: Haben Sie Angst vor der Front National?
Bernard-Henri Lévy: Natürlich. Wie könnte man keine Angst haben, wenn man sieht, daß ihr wichtige Städte in die Hand fallen und daß sich die Zahl ihrer Gemeinderatsmitglieder verdoppelt hat. Und wenn man weiß, daß diese Entwicklung ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht hat. Es gibt eine neofaschistische Partei in Frankreich, die zahlreiche Sympathisanten hat und immer mehr Macht erobert. Wie sollte man da keine Angst haben?
Sie nennen die Front National also eine neofaschistische Partei?
Ja. Vielleicht müßte man für diesen Faschismus ein neues Wort erfinden. Aber bis dahin erscheint mir der Begriff „Neofaschismus“ passend. Das ist eine offen antisemitische Partei. Jüngstes Beispiel dafür ist der Angriff von Jean- Marie Le Pen auf den Sänger Patrick Bruel [der nach dem Wahlsieg der Front National in Toulon angekündigt hat, er werde dort nicht mehr auftreten; d. Red.], indem er ihn bei seinem jüdischen Familiennamen Benguigui nannte. Die Front National ist eine rassistische Partei, die die nationale Zugehörigkeit auf der Grundlage einer angeblichen französischen Rasse definiert, von der wir wissen, daß es sie nicht gibt.
Zum Neofaschismus gehört weiterhin der Anschluß an die konkreten faschistischen Erfahrungen dieses Jahrhunderts, die Erbschaft. Auch das ist bei der Front National der Fall. Le Pen hat seinen Lebensunterhalt mit der Veröffentlichung von Nazigesängen verdient. Finanziell wurde die Front National lange von Leuten aus der italienischen MSI unterstützt. Die Front National ist aber nicht nur eine neofaschistische Partei, sie ist auch eine Partei von Mafiosi. Das vergißt man in Frankreich viel zu oft. Diese Partei, die behauptet, saubere Hände zu haben, ist tief in Mafiageschäfte verwickelt.
Wie sehen Sie die Vorgeschichte dieses französischen Neofaschismus?
Es gibt zwei starke Referenzen bei der Konstituierung der Front National. Da sind einerseits die alten Doriotisten. Die ehemaligen Mitglieder der Pro-Nazi-Partei „Parti Populaire Français“ vor dem Zweiten Weltkrieg, deren Chef Jacques Doriot war. Nach dem Krieg ist die Partei verschwunden, aber einzelne Männer sind geblieben. Victor Barthélemy zum Beispiel, einer der Ideologen der Front National. Das andere wichtige Element sind die Verbindungen zum großen Bandenwesen im Süden – zur italienischen Mafia, zum Milieu der OAS (Organisation Armée Secrète) und den Zirkeln des schmutzigen Geldes in Europa.
Warum ist ausgerechnet in Frankreich so eine Partei so stark geworden?
Wahrscheinlich, weil Frankreich keine Trauerarbeit geleistet hat. Unter den großen europäischen Ländern, die eine faschistische Versuchung erlebt, einen starken Faschismus gekannt haben – Italien, Vichy-Frankreich, Deutschland, Portugal und Spanien –, ist Frankreich das einzige, das seine Trauerarbeit nicht absolviert und über seine Vergangenheit nicht nachgedacht hat. Ich will nicht behaupten, daß Deutschland das perfekt getan hätte, aber es hat es zumindest versucht. Diese Trauerarbeit hat lange gedauert, war hart, schmerzhaft und sicher auch schrecklich für die Kinder jener Generation.
Sie hat zu den Phänomenen geführt, die wir alle kennen, wie dem Terrorismus der Baader-Meinhof- Bande. Aber die Trauerarbeit wurde erledigt, und die Vergangenheit ist wirklich vergangen. Nur in Frankreich hat man den nationalen Faschismus negiert und nicht ausgetrieben. Schon 1940 hieß es: Unser Faschismus ist ausschließlich der Reflex eines ausländischen Faschismus, das Regime, das die Deutschen unserem armen Land aufzwingen. Dabei wissen die Historiker, daß es eine authentische französische faschistische Tradition gab. Da das verdrängt wurde, kommt es zurück.
Es gibt eine Reihe von Intellektuellen in Frankreich, darunter auch Sie, die seit Jahren vor der Gefahr der Front National warnen. Trotzdem ist die Partei jetzt sehr stark geworden. Warum hören die Leute nicht auf Sie?
Weil wir nicht genug waren. Vielleicht wäre die Front National auch noch stärker geworden, wenn wir nicht vor ihr gewarnt hätten. Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt es auch daran, daß die ideologische Strategie nicht effizient genug ist. Vielleicht war die Strategie der Verwünschung, des Bannfluchs nicht richtig.
Wer mit Leuten spricht, die Front National wählen, spürt ein enormes Mißtrauen gegen die Elite, wozu auch die Intellektuellen gezählt werden.
Das ist nicht neu und vielleicht nicht nur in Frankreich so. Aber hier ist es jedenfalls ein sehr altes Phänomen. Einer der Gründer des französischen Faschismus, Edouard Berth, gab seinem großen theoretischen Werk über den Faschismus den Titel „Les Méfaits des Intellectuels“ (Die Vergehen der Intellektuellen). Auch Charles Maurras hat ein antiintellektualistisches Pamphlet verfaßt. Es gibt bei der französischen extremen Rechten eine Tradition der Intellektuellenfeindlichkeit, die konstant und radikal ist. Intellektuelle gelten als Repräsentanten einer gewissen Elite, als Repräsentanten eines abstrakten Denkens und einer bestimmten sozialen Kategorie.
Geht die Intellektuellenfeindlichkeit nicht sogar noch über den Kreis der Anhänger der Front National hinaus?
Wahrscheinlich. Das ist eine französische Leidenschaft. Frankreich ist zwar das Vaterland der Intellektuellen, aber zugleich auch das Vaterland der Intellektuellenfeindlichkeit.
Ob es um Algerien, Bosnien oder Tschetschenien geht – in Frankreich finden sich immer Intellektuelle, die die Menschenrechte verteidigen. Universalisten also. Aber die Öffentlichkeit ist nicht unbedingt aufgeklärter als in Deutschland.
Vielleicht. Trotzdem ist es ein Glück, daß es die Intellektuellen gibt. Schauen Sie sich doch mal die Vergangenheit an. Während des Algerienkrieges zum Beispiel gab es Intellektuelle, die das „Manifest der 121“ unterzeichneten, den Aufruf zum Ungehorsam. Die ganze politische Klasse Frankreichs und die gesamte Öffentlichkeit waren damals für das Französische Algerien. Es waren 121 Intellektuelle nötig, um die Ehre zu retten, um eine andere Stimme zu hören.
Nun hat Frankreich 2.000 gewählte Front-National-Politiker in den Gemeinderäten. Was schlagen Sie vor, zu tun?
Weiterkämpfen!
Gegen wen?
Gegen sie. Gegen ihre Ideen. Aber dabei muß immer klar sein, daß die Wähler der Front National nicht zufällig so wählen. Das sind keine Proteststimmen, sondern Anhängerstimmen. Die Leute, die in Frankreich die Front National wählen, wissen, warum sie das tun und für wen sie stimmen. Sie kennen die Ideologie der Führer, und auf eine bestimmte Art stimmen sie ihr zu.
Wollen Sie damit sagen, daß diese Leute nicht mehr zurückzugewinnen sind?
Nein. Es gab in Deutschland eine Mehrheit von überzeugten Nazis. 1945 sind auch sie zur Demokratie zurückgekehrt. Der Faschismus ist eine Art Leidenschaft, eine schreckliche, mörderische Leidenschaft, die sie mitreißt. Er wird von Propaganda genährt, von subtilen und schrecklichen Formen von Angst und Hypnose. Man hat schon ganze Völker gesehen, die dem Nazismus folgten. Und die sind wieder zu sich gekommen. Natürlich können sich die Wähler der Front National ändern. Aber heute wissen sie ganz genau, für wen sie stimmen. Davon bin ich überzeugt.
Mit welcher Sprache wollen Sie und andere Intellektuelle Zugang zu diesen Leuten finden?
Ich glaube, daß die Rechten bei den letzten Präsidentschaftswahlen die richtige Strategie hatten. Das kann ich um so leichter sagen, als ich für den Sozialisten Jospin gestimmt habe. Sie haben jedes programmatische Zugeständnis an die Front National abgelehnt, auch das kleinste. Zwischen den beiden Wahlgängen haben sie ihren Diskurs über Sicherheit und Immigration kein bißchen modifiziert. Wenn die Rechte diese Linie beibehält, ist das gut. Sie signalisiert damit den Wählern der Front National: Wenn ihr wollt, könnt ihr die wählen, aber es ist völlig nutzlos. Glaubt nicht, daß ihr damit irgendeinen Einfluß auf den künftigen Präsidenten der Republik haben werdet – auch wenn zehn, 15 oder 20 Prozent der Stimmen für Le Pen sind, wird Chirac nicht um ein Jota von seiner Linie abweichen. Das kann eine Art von Wut, von Revolte, von Haß gegen das Establishment erzeugen. Das unterschätze ich nicht. Aber mir scheint, daß damit langfristig vor allem das Gefühl erzeugt wird, daß eine Stimme für Le Pen nichts nützt, man also anders wählen muß.
Es gibt eine Reihe von Künstlern, die jetzt die Front-National- regierten Städte boykottieren wollen. Was halten Sie davon?
Das ist ein Fehler, und zwar aus drei Gründen. Ich ziehe es vor, die gewählten Lepenisten am Schlafen zu hindern. Ich bin dafür, vor ihren Fenstern Lärm zu machen, vor ihren Nasen Reden zu halten. Zweitens muß man sich tatsächlich darauf einrichten, mit diesen Leuten zu reden, die Le Pen gewählt haben – möglicherweise in der Form einer radikalen Opposition. Man muß ihnen sagen, warum sie verrückt sind. Man muß ihnen erklären, daß sie dabei sind, ihre Städte in den Bürgerkrieg zu stürzen. Und drittens gibt es in diesen Städten eine Menge Leute, die anders gewählt haben. Nehmen Sie Toulon, da haben zwei von drei Wählern nicht die Front National gewählt. Sollen die auch bestraft werden, soll ihrem Gefühl von Niederlage jetzt auch noch das von Scham und Ausgrenzung hinzugefügt werden? Nein. Man muß diese Demokraten unterstützen. Ihnen sagen, daß sie nicht allein sind.
Sprechen Sie persönlich mit Front-National-Anhängern?
Ja, das ist natürlich schon vorgekommen. Aber das hängt immer vom jeweiligen Zeitpunkt ab. Ich glaube, man muß es tun.
Interview: Dorothea Hahn
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