„Überstürzt und unsozial“

■ Dieter Schäferbarthold, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, über Veränderungen beim Bafög

taz: Herr Schäferbarthold, heute entscheidet das Kabinett über die neuesten Bafög-Zinsen von Forschungsminister Jürgen Rüttgers. Wenn sich sein Modell durchsetzt, ist es ...

Dieter Schäferbarthold: ... mit der Chancengleichheit im Bildungswesen vorbei – aber endgültig. An sich hätten wir erwartet, daß ein Zukunftsminister Modelle für die Zukunft entwickelt ...

... und nicht uralte Modelle aus der Schublade zieht, die schon seine Vorgänger verworfen haben?

Genau. Immerhin wurde damals untersucht, ob Bildungskredite überhaupt von Studenten angenommen würden. Die Akzeptanz war gleich Null! Studenten werden sich mit solchen Vorschlägen gar nicht erst abfinden, die gucken sich gleich nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten um.

Das Studentenwerk hat gerade ein eigenes Modell vorgestellt.

Darin schaffen wir den Elternfreibetrag und das Kindergeld für Jugendliche ab, die sich in der Ausbildung befinden. Wir ersetzen ihn durch einen Sockelbetrag von 400 Mark monatlich für jeden Studierenden. Einkommensabhängig kann dazu ein Förderbetrag bis zu 650 Mark beantragt werden – zur Hälfte als staatlicher Zuschuß, zur Hälfte als unverzinstes Darlehen.

Das macht 1.050 Mark pro Monat, immerhin 100 Mark mehr als der bisherige Bafög-Höchstsatz. Und das würde reichen?

Nicht ganz. Heute braucht ein Student etwa 1.250 Mark pro Monat. Die fehlenden 200 Mark könnten selbst erarbeitet werden. Außerdem kann man auch über leistungsbezogene Komponenten nachdenken.

Im Klartext: Wer brav, fleißig und schnell ist, wird belohnt.

Warum nicht? Dafür sollte es Stipendien geben. Es kann einfach nicht darum gehen wie bei Herrn Rüttgers, der völlig überstürzt unausgegorene und sozial unausgewogene Dinge vorschlägt.

Nur 19 Prozent aller Studentinnen und Studenten erhalten heute noch Bafög, nur ein Drittel von ihnen bekommt den Höchstsatz.

Mit Konsequenzen: Unsere Sozialerhebung belegt, daß es in den alten Bundesländern erhebliche Veränderungen in der sozialen Schichtung der Studierenden gegeben hat. 1982 – als die Regierung Bafög auf Volldarlehen umstellte – waren noch 23 Prozent aller Studierenden Kinder von Arbeitern oder kamen aus kleineren Angestelltenverhältnissen. Jetzt ist dieser Anteil auf etwa 14 Prozent abgesackt.

Bald sind es wohl noch weniger – Schlagwort: Studiengebühren.

Da bin ich dagegen. Generell ist es deutsche Tradition, daß Bildung ein Gut ist, das von staatlicher Seite angeboten wird.

Diese Bildung wird dem Staat zu teuer, viel zu teuer.

Weil nicht die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Deutschland kann nur vom Kapital Bildung leben. Wir haben keine anderen Ressourcen wie Öl oder andere Bodenschätze. Und im Vergleich dazu investiert die Regierung zu wenig in Bildung und Ausbildung. Der Skandal ist doch, daß Rüttgers jetzt eine Umschichtung vornimmt. Bafög-Geförderte sollen nun über Zinsen einen Teil der Defizite im Hochschulausbau, bei der Forschung oder beim Meister-Bafög finanzieren. Das geht eindeutig zu Lasten der Bafög-Empfänger! Die sollen mit der Verzinsung einen Teil des Hochschuletats finanzieren. Das ist doch unglaublich. Interview: Karin Flothmann