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Lyrik statt Bockwurst

■ Matthias Baader Holst, ein Dichter vom Prenzlauer Berg. Er starb am Tag der Währungsunion, sein Werk überdauerte. Die Brotfabrik zeigt jetzt ein Video

Irgendein existentialistisch-kahler Keller in Ost-Berlin. Gitarren lärmen; das Schlagzeug hämmert. Begeistert spielen Männer was in Richtung Punk. Der Dichter Peter Wawerzinek schwankt über die Bühne und singt oder brüllt einen alten DDR-Schlager: „Ich bin ich. Und du bist du. Jeder lacht dem andern zu. Und du bist du und ich bin ich.“ Und so weiter.

Ab und an schwenkt die Kamera auf einen hageren Glatzkopf. Der leuchtet im leichengrünkalten Scheinwerferlicht und grinst im Halbprofil. Das ist Matthias Baader Holst. Der sieht aus wie ein viel zu groß geratener Glöckner von Notre-Dame oder – den Kopf voran, die Arme nervös schlenkernd – wie ein glatzköpfiger Karl Valentin. Baader hat unglaublich lange, schmale Finger. Manchmal zerrt er begeistert seinen Freund an den Kleidern, manchmal richtet er seine Augen gen Himmel, als wollte er sich ironisch entfernen. Wenn er konzentriert und mit unbedingter Hingabe liest, zitiert er die ganze Welt.

Schlager als letzte Identitäts-Behauptung

„Also wir haben jetzt so eine szenische Lesung“, sagt Peter Wawerzinek, der damals schon und immer noch als „Schappi“ durch die Gegend rennt. Und daß er zehn Jahre lang Heimkind gewesen sei und: „Ich hab' mich immer gefragt, wer meine Mutter ist. Lange Zeit hab' ich geglaubt, er sei es gewesen. Dann hab' ich ihn mal nackt gesehen. Da war er's doch nicht.“ Baader sei nie Heimkind gewesen, der habe eine glückliche Kindheit gehabt, sagt Schappi. „Einen herzensguten Vater“ hatte der Freund, „und eine Mutter, die ihm immer die Schokomilch angewärmt hatte.“ Während Schappi liest, liegt Baader unter ihm und faßt ihm neckisch zwischen die Beine.

Aus Schlagern lassen sich die besten Punkstücke machen, und im Nachhinein verändert sich die Bedeutung, die man als Zugucker den Texten so gibt. Damals, in den letzten Monaten der DDR, geriet das, was mal als Schlager beruhigen sollte, zur letzten Behauptung einer Identität in ihrem Entschwinden. Heute, fünf Jahre danach, wirkt das Video „Briefe an die Jugend des Jahres 2017“, als käme es aus einer anderen Welt.

Einer Welt, die noch ein Anderes kannte; die noch unterschied zwischen einem im Abschied aufregenden Osten und einem irritiert-gelangweilten Westen, zwischen offizieller Kultur und, nun ja, „Untergrund“. Heute und spätestens seitdem die Süddeutsche Zeitung sein letztes Buch („Das Kind, das ich war“) in Serie abdruckte, gehört Peter Wawerzinek zu den Top-20 der deutschen Literatur. Sein Freund Matthias Baader Holst dagegen starb am Tag der Währungsunion.

Nach einer Lesung und am Ende einer durchsumpften Nacht, war der 28jährige in der Nähe des Grenzübergangs Friedrichstraße in eine Straßenbahn gelaufen. Das zeitliche Zusammentreffen zwischen der Einführung der Marktwirtschaft und Baaders Tod ließ Mythen entstehen. Viele wollten an einen inszenierten Tod des DDR-hippie-existentialistischen Dichters glauben, der der Warengesellschaft mit unverhohlenem Ekel begegnet war.

Von allerlei Vorbedeutungen wußten Freunde im Nachhinein zu berichten: In seiner vorletzten Lesung hätte er plötzlich ein „Straßenbahn“ da eingefügt, wo im Originalmanuskript nie eins stand, rezitierend hatte er sich für die „Briefe an die Jugend ...“ auf Bahngleise gelegt, bedeutsam hätten seine Hände die Stellen berührt, die später die tödlichen Wunden sein sollten, und die Kreuzung, an der er schließlich verunglückte, hätte weitab von dem Weg gelegen, den er nach Hause hätte nehmen müssen. Stellvertretend für uns sei Baader aus dem Leben gegangen, meinten viele. Später kam das Gerücht, die Stasi hätte ihn auf dem Gewissen.

Baaders Gedichte gehören zu dem wenigen, das übrigbleibt aus dem DDR-„Underground“, meinen nicht nur Jürgen Kuttner und Christoph Tannert, der Projektleiter des Künstlerhauses Bethanien.

1962 wurde Matthias Holst in Halle geboren, war Baufacharbeiter, Bibliothekar und Sänger und Texter der Hallenser Punkband „Die letzten Recken“. Die letzten zwei DDR-Jahre lebte er als Dichter in Ost-Berlin und bildete mit Wawerzinek ein recht dynamisches Duo. Ob er sich Baader nach dem verrückten Dadaisten oder nach dem westdeutschen Terroristen nannte, ist unklar. In den erreichbaren Kreisen erlangte er jedenfalls Kultstatus.

Baader und Wawerzinek gehörten zur letzten Generation der DDR-Gegenkultur. Der sozusagen etablierte Underground nahm die beiden nicht so recht ernst. Ihnen galt die Szene um Sascha Anderson (der kürzlich mit Papenfuß und dem „Novemberclub“ eine Platte einspielte) dafür schon als zu etabliert. Mit dem Begriff „Underground“ wollten beide nix zu tun haben: „Ein Ticket, eine Einladung für einen lustigen Abend – das ist Underground. Und du hast die Ticketkarte und bist dann Underground. Baader und ich, wir haben uns nur Beleidigungen gefallen lassen müssen, weil wir diese Clubkarte nicht haben wollen“, meint Wawerzinek, und Baader wäre am liebsten dem „Club der einfachen Menschen“ beigetreten: „Du kannst gut deinem Hund in den Arsch treten und ich kann gut Gedichte schreiben. – Wo ist da der Unterschied?“

Die Anlässe zu denen die beiden in DDR-Zeiten auftraten, waren denkbar unspektakulär: „Hochzeitsfeiern, Geburtstagsparties, irgend 'ne Band hatte Geburtstag. Dann waren's wieder Einweihungen von irgendwelchen Gartenhäusern. Einmal waren wir auch im Heimatmuseum von Görlitz. Es waren im Prinzip immer Parties. Das Interesse war immer so: Statt gegrillte Bockwurst kommt jetzt Lyrik.“

Das Video „Briefe an die Jugend aus dem Jahre 2017“ spielt in dem seltsamen Zwischenraum der letzten Monate der DDR. Traumzeitmäßig melancholisch gibt es immer wieder Autofahrten in blauverregneter Dämmerung zu diversen Grenzübergängen.

Dichter solle man bespeien und verjagen

Die Dichter posieren in der Charité, trinken Bier in wehmütig sozialistischen DDR-Kantinen; sie stehen vor Tankstellen oder sitzen daraußen vor der FDJ-Tafel in Bitterfeld, die dem Film seinen Titel gab. „wir sehn uns noch auf dieser welt wenn nicht vielleicht in bitterfeld“ , sagt Baader oder, schwer „okkupationsmelancholisch“: „du in london ich im leichenschauhaus/ ein jeder wohl an seinem platz / wir schliefen einst ins licht uns einsam/ du gabst dich hin ich las die ,taz‘“

Irgendwo draußen, im Grünen flüstert Baader einer älteren Frau mit Lockenwicklern komische Gedichte ins Ohr oder setzt sich auf den Hintersitz eines Mopeds: „ich spreche eine sprache / vor der ich keine angst habe / ich habe keine angst und wenn / spricht sie eine sprache / die ich nicht verstehe (...) ich bin ohne stimme“

Gemeinsame Auftritte von Matthias Baader Holst und Peter Wawerzinek kommen vorbei. Da wäre man selbst gern dabeigewesen. Wawerzinek sagt: „Wer schreibt, dem sollen die Kinder hinterherlaufen. Man soll ihn bespeien und ihn verjagen aller Orte.“

Das Video ist wunderbar. In der Schrift verlieren die Worte und wirken leicht peinlich, wie alles, was einen berührt. Neben diversen Gedichtbänden gibt es von Matthias Baader Holst auch ein paar ziemlich tolle Cassetten im Maas- Verlag. Irgendwo sagt er: „ich wollte die worte verlassen, die der text, der raum braucht, der mich fordert. zeichnet. die kolonien liegen hinter dir. du siehst die welt mit anderen augen. nie so dynamisch, jung und fair. ich zerreisse, ich verwahrlose, aber es geht mich nichts mehr an. ich höre keine stimmen. abschied.“ Detlef Kuhlbrodt

Video über Matthias Baader Holst: „Briefe an die Jugend aus dem Jahre 2017“, Schnitt: Erich Maas, Kamera: Torsten Hauer. Vom 6.-12. 7., 19.30 Uhr, Kino in der Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weissensee

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