: Menschenkette per Post
■ Schon wieder preisgekrönt: die Bremer Briefmarken-SpezialistInnen Fritz & Sibylle Haase
Wenn Haases ihr Briefmarkenalbum durchblättern, dann funkelt ein ganz besonderes Leuchten in ihren Augen. Das Album ist ein ziemlich gewöhnliches, draußen schwarzes Lederimitat, drinnen Schutzblätter aus Pergament. Die Marken sind die einfachsten, die man am Schalter kaufen kann. Aber: alle selbstgemacht! Welcher Sammler könnte das von sich behaupten?
Seit 1978 gehören Sibylle und Fritz Haase zum erlauchten Kreis jener GrafikerInnen, die von der Post eingeladen werden, um gelegentlich neue Briefmarken zu gestalten. Über 40 Einzelmarken und Serien der Marke Haase wurden seither gedruckt; so flattern die Miniaturgrafiken aus Bremen inzwischen durch alle Welt.
Und das ist auch schon fast der ganze Lohn für die Arbeit. Denn viel Honorar gibt's nicht – 3000 Mark für die Teilnahme am Wettbewerb, 4500 Mark, wenn der Entwurf tatsächlich gedruckt wird. Aber der Ruhm: Drei Millionen Mal ging die Sondermarke „Miteinander Leben“ über den Schalter, die Serie deutscher „Sehenswürdigkeiten“ sogar 30-millionenfach – „davon hätte Warhol geträumt“, sagt Fritz Haase.
Briefmarkendesign – das wäre tatsächlich der richtige Job für das Arbeitstier Warhol gewesen. Denn das Kleinstformat erfordert größten Aufwand. Die Haases stürzen sich mit Feuereifer rein. Zehn PostlerInnen unterschiedlicher Herkunft mußten aufgetrieben werden, in zehn Porträtsitzungen fotografiert und auf Briefmarkengröße getrimmt werden, um das Thema „Miteinander Leben“ umzusetzen. Zehn freundliche Gesichter, gelb, schwarz, blond und braun. Eine schöne Idee – nur leider vergebens, wie die Post informierte: Die duldet nämlich keine lebenden Personen auf ihren Marken. Ausnahme: das Konterfei des Bundespräsidenten.
So fiel die Wahl auf einen anderen Haase-Entwurf. Auf dem sind zwar auch echte Menschen versammelt und zu einer Menschenkette gruppiert. Aber: am Computer verfremdet. Die grobkörnige Pixelgrafik gefiel nicht nur dem Kunstbeirat der Post. Die SammlerInnen aus deutschen Landen kürten das kleine Kunststück zur „schönsten deutschen Briefmarke“, dem alljährlichen Publikumspreis der Post. Schon ist die Marke ausverkauft.
So naheliegende Motive besitzen in Haases Kollektion eher Seltenheitswert. Meistens gehen die GrafikerInnen weite Umwege, um ans Ziel zu kommen. „Man muß die Jury ein bißchen überraschen“, sagt Fritz Haase. 125 Jahre Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger: Eimerweise fluteten der Post zu diesem Thema Entwürfe mit dramatischen Hochseekatastrophen ins Haus. Wogende Wellen, heldenhaft schlingernde Rettungsschiffe mittendrin. Allein die Haases blieben auf dem Trockenen. Fritz entdeckte das Motiv in der Arbeitspause, beim Bierholen im Ecklokal „Kaiser Friedrich“: das hölzerne Spendenbootchen, das unverwüstlich auf dem Tresen prangt, um den Nothelfern zu helfen. „Symbolische Gesten, symbolische Zeichen“ – darauf, sagen die Haases, komme es an.
Der neue ICE rollt an? Die Haases fotografieren eine Modelleisenbahn, die sie durch ihr Atelier zuckeln lassen. 50. Jahrestag des Hitler-Attentats? Eine pechschwarze Marke, nur mit den weißen Datumsziffern drauf. Das aber war der Post dann doch zu radikal.
Es paßt eben nicht alles auf eine Briefmarke. Manche Themen, die sich die Post vornimmt, lassen sich in ihrer Komplexität nur schwerlich auf Kleinformat zwingen. „Da ist man manchmal geplättet“, sagt Fritz Hasse und kramt die Ausschreibung zum Thema „Den Opfern von Unrecht und Gewalt“ hervor. Die Sondermarke sollte, so der Postminister, „dazu beitragen, das Bewußtsein für das Leid aus Unterdrückung, Verweigerung von Menschenrechten und erzwungenem Verzicht auf persönliche Entfaltung“ in der ehemaligen DDR „mahnend wachzuhalten“. Das alles, ohne die Gefühle der Ostdeutschen zu verletzen. Haase recherchierte, fuhr nach Berlin, um nach einigem Hin und Her in den Kammern der Gauck-Behörde fündig zu werden. Ergebnis: ein Stapel Stasiakten, einfach auf den Tisch geknallt und in eiskaltem Licht abfotografiert – „darin bündelt sich doch alles, oder?“
Längst sind die Haases, deren Marken die LiebhaberInnen schätzen, selbst zu LiebhaberInnen geworden. Jedes Detail muß stimmen, jede haarkleine Zinne am Bremer Rathaus, jedes Fenster in der BOING 747 – „da rufen die Fachleute schon mal an, wenn was nicht stimmt“. Nicht zuletzt sind Briefmarken einfach auch gute Grafiken. „Die müssen genauso plakativ sein wie große Plakate“ – von Sibylle Haases 50-Pfennig-Marke, ein Ausschnitt des Braunschweiger Löwen, ließ die Stadt tatsächlich eine Plakatserie drucken.
Umso grausliger, was neuerdings aus den Briefmarkenautomaten herauskommt. Die neuen, bilderlosen Ruckzuckmarken finden die Haases schlicht „kulturlos“. Mahnend wedelt Fritz mit einem Zitat von Walter Benjamin. „Sind nicht die großen künstlerischen Marken der Nachkriegszeit mit ihren vollen Farben schon die herbstlichen Astern und Dahlien dieser Flora?“ Die Pracht der Briefmarken werde wohl „das zwanzigste Jahrhundert nicht überleben“. Da lächeln die beiden Haases milde. Denn ihr Album wächst und gedeiht, und treibt immer wieder die schönsten Blüten. tw
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