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„Wir wollen nicht fliegen“

■ Türkische Jugendliche stehen Techno und der Love Parade distanziert gegenüber / Techno wird mit Drogen verbunden – HipHop dagegen bietet Inhalt und Identifikation

Die Love Parade wird gewiß auch einige orientalische Jugendliche mitreißen, aber die meisten von ihnen werden bestenfalls vom Straßenrand aus den Festzug begutachten, wenn nicht gar zu Hause bleiben. Selbst nach fünf Jahren Love Parade zeigen sie sich relativ unberührt. Dabei müßte gerade der ravende Lebensstil, der doch alle Differenzen unter dem Party-Banner begräbt, die türkischen Jugendlichen begeistern, die immer wieder den Rassismus, der ihnen in diesem Land entgegenschlägt, beklagen.

Man sei erinnert an die Euphorie, mit der Rap-Musik in den frühen achtziger Jahren aufgenommen wurde, wie sich HipHop mit Breakdance, Graffiti und Jugendgangs durch die zweite Generation schlich, um dann ganz verinnerlicht zu werden. Rapper-Posen und Gesten, Kleidung und Ausdrücke wurden in die eigene Sprache aus Türkisch, Deutsch und Berlinerisch geflochten und fanden ihren Platz im Alltag der Jugendlichen. Im subkulturellen Protest der Afroamerikaner fand man die eigenen Alltagssituationen in Wedding und Kreuzberg wieder.

Während HipHop kam, Gehör fand und siegte, steht Techno noch mit all seinen Ausdrucksformen, die in den Bereichen Musik, Mode, Design, Freizeit große Flächen abdecken, im Abseits. Die Jugendlichen können keinen Gefallen finden – weder an der Musik noch an dem damit assoziierten Drogenkonsum. In ihrem Jargon werden Raver oft als hapçilar bezeichnet, was soviel wie „Pillenschlucker“ bedeutet. Die Ablehnung von Drogen rührt her von der Erfahrung von vielen „älteren Brüdern“. Zu viele von ihnen sind an der Nadel hängengeblieben.

Viele Jugendliche können keine Verbindung zwischen Techno und ihrem eigenen Leben erkennen. Sie sehen weder eine Möglichkeit, sich mit ihrem Hintergrund in die Szene einzubringen, noch sind sie bereit, in eine von außen herangetragene, „anonyme“ Bewegung einzutauchen. Die Techno-Szene geht mit ihren Inhalten auf keines der Probleme der türkischen Jugendlichen ein, sondern bleibt diffus wie das Motto der diesjährigen Love Parade, „Peace On Earth“.

Was die Jugendlichen wollen ist, sich selbst zu definieren und Wege im Umgang mit Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Chancenungleichheit zu finden. „Wir wollen nicht fliegen, sondern unsere Probleme vor Augen haben und sie auch benennen“, sagt ein ernst dreinblickender junger Mann am Kotti und schielt zu den Junkies rüber. Er sähe keinen Unterschied zwischen denen hier und den Ravern, nur daß die Raver nicht zu betteln bräuchten für ihre Drogen.

Aber es gibt doch einige türkische „Pillenschlucker“. Sie müssen über diesen Begriff lachen, denn sie teilen nicht die Meinung, daß Techno nur unter Drogeneinfluß genießbar sei. „Techno ist doch nicht gleich Techno. Man muß zwischen einzelnen Richtungen unterscheiden“, erklärt Les. Und weist darauf hin, daß die türkische Popmusik schon längst House-Rhythmen mit progressiven Elementen verwendet. Er betrachtet Techno als einen Schritt, aus den festgefahrenen türkischen Kreisen auszubrechen und nationale Barrieren aus dem Weg zu räumen. Les, der bei der Love Parade mitmacht, spottet: „Unsere Leute werden erst auf Techno kommen, wenn in Europa bereits alles vorbei ist.“ Zonya Dengi

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