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Einigkeit und Recht und Techno

Techno war das erste deutsch-deutsche Wendephänomen / Sechs Jahre später macht sich im sogenannten Rave-Dreieck in Mitte Katerstimmung breit  ■ Von Nico Mesterharm

New York 1991. „Do you know a place in Berlin called ,The Safe‘?“ Es dauert 60 Sekunden, bis ich verstehe, daß der erste Berliner Techno-Klub „Tresor“ am Potsdamer Platz gemeint ist. Nach dem Mauerfall entwickelte sich hier und in anderen Szeneläden ein brandneues, grenzenloses Lebensgefühl als Resultat deutsch-deutscher Geschichte.

Rückschauend ist Techno das Berliner Wendephänomen: Kurz nach der Stunde Null tanzten Jugendliche aus beiden Teilen der Stadt gemeinsam zu Stakkatorhythmen, verschmolzen kindliche Leiber im Trockeneisnebel. „Techno war der erste Bereich im sozialen Leben Gesamtdeutschlands, in dem es eine Wiedervereinigung gab“, erinnert sich der in Eisenhüttenstadt geborene Diskjockey Paul van Dyk. „Das hat, glaube ich, knapp zwei Tage gedauert: An einem Donnerstag gingen die Grenzen auf, und Samstag machten wir gemeinsam Party im West-Berliner Kult-Klub ,UFO‘.“

Schon vor der Wende wurde der gelernte Tischler vom Technofieber angesteckt – dank Westradio. „Im Osten gab es eine kleine elektronische Subkultur. Wir hörten heimlich Monika Dietls Radiosendung auf Radio 4U. So erfuhren wir auch von den ersten West-Berliner Acidhouse-Partys im ,Wrangelschlößchen‘ und im ,UFO‘. Doch wir hatten keine Chance, dabeizusein.“

Am 9. November 89 war es dann endlich soweit. „Auferstanden aus Ruinen“ wurde Berlin „Techno City“. „Die ersten Klubs im ehemaligen Osten waren schmutzig. Strobos und Nebel wurden intensiv eingesetzt, und die Musik war dreckig, schon allein deshalb, weil die Akustik in den meisten Läden schlecht war“, weiß Alec Empire, West-Berliner Produzent und Mastermind der Berliner Technopunkband „Atari Teenage Riot“, der von Anfang an mit dabei war. „Das war genau die Atmosphäre, die die allgemeine Stimmung widerspiegelte. Frustrierte, aggressive Kids aus dem Osten merkten, daß sie ihre Jugend verschwendet hatten und jetzt schon wieder verarscht werden sollten.“

Nicht alle: Für den Ost-Berliner Musikproduzenten Marc de Clarq, der zu DDR-Zeiten mit seinem westlich angehauchten Elektropop ein Auftrittsverbot nach dem anderen kassiert hatte, bedeutete die neugewonnene Freiheit das Recht auf künstlerische Selbstbestimmung. In der Technoszene profitierte anfänglich jeder vom anderen und brachte ein Stück Erlerntes mit in das Klubleben. So waren die Leute aus dem Osten viel ausgehungerter und damit euphorischer als ihre Brüder und Schwestern aus dem Westen.“

Aber auch die übersättigten West-Berliner Wohlstandsbabys und bundflüchtigen Studenten aus dem Schwabenland hatten allen Grund, ihre Arme in die Luft zu reißen. Nach dem (sub-)kulturellen Tiefpunkt der Mittachtziger und kollektiver Orientierungslosigkeit angesichts fehlender Innovationen gab ihnen die in Entstehung begriffene Technobewegung plötzlich einen neuen Kick. DJ André Lopez alias Ilse Lakritz: „Die Berliner Technohouse-Szene entstand auf Westseite aus dem Frust heraus, daß das Bestehende langweilig geworden war. Die ersten illegalen Partys wurden an geheimen Orten, in Kellern oder Lagerhallen gefeiert, deckten gerade mal so die Kosten und brachten vor allem Spaß und Abenteuer.“

West und Ost trafen sich bezeichnenderweise in (der) Mitte und stießen auf ein einzigartig technofreundliches Terrain, das bis heute weltweit seinesgleichen sucht. Im verödeten Stadtzentrum zwischen Potsdamer Platz, Köpenicker Straße und Görlitzer Stadtbahnhof – den Eckpunkten des sogenannten „Rave-Dreiecks“ – fanden sich die Pilgerstätten folgender Raving Generations: „Tresor“, „Planet“, „Walfisch“, „Praxis“, „Bunker“ und eine Unzahl kurzlebigerer Wallfahrtsorte.

Diese glichen sich nur hinsichtlich des „apokalyptischen Ambientes“ („Bunker“-Geschäftsführer Andreas Schwarz) und der im wahrsten Sinne des Wortes beschissenen Toilettensituation; jeder Klub glänzte mit verschiedenen Vorzügen „for those who know“. Free Love, free drugs, free people – der langweilige Alltag blieb vor der Klubtür, und in wilden Nächten beim „Tanz auf dem Vulkan“ wurden jene Geschichten geschrieben, die 1995 die Szeneseite der Bild-Zeitung zieren. Und bei „May day 8“ in der Deutschlandhalle heißt es dann: Weißt Du noch, damals ...?!

Das Stadtbild hat sich nicht nur zwischen Friedrichstraße und Pariser Platz gewandelt. Katerstimmung macht sich breit. Innerhalb der überproportional gewachsenen Technoszene ist der ursprüngliche „Spirit“ in Vergessenheit geraten. Wen wundert es da noch, daß es den Szenegastronomen, Veranstaltern und DJs immer seltener gelingt, den Hexenkessel vergangener Tage wieder zum Kochen zu bringen. DJ Andrew B. zumindest nicht: „Diskussionen über eine zunehmende Kommerzialisierung sind absolut überflüssig. So ist das nun mal: Wenn eine Sache so erfolgreich ist wie beispielsweise Techno, findet sie eben immer mehr Anhänger, und je mehr Anhänger sie findet, um so kommerzieller wird's. Techno ist auf dem besten Wege, genauso uninteressant zu werden wie der Zauberwürfel und Skateboardfahren.“ Oder die Wiedervereinigung?

Mit freundlicher Genehmigung entnommen dem in wenigen Tagen erscheinenden Buch „Berlin Technology“ (A-Verbal-Verlag) ISBN-3-88-999-023-1.

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