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■ BuchtipUnterwegs in Italien

Der italienische Schriftsteller Carlo Levi war der Meinung, „Christus kam nur bis Eboli“, und im Norden Italiens pfeifen die Einheimischen nur zu gern ins gleiche Horn, auch wenn Levi mit dem Titel seines Buches die Süditaliener ganz und gar nicht abwerten wollte. Als der Arzt und Maler 1935 von den Faschisten in die Verbannung nach Lukanien geschickt wurde, in den ärmsten, vergessensten Teil Süditaliens, machte er das Beste daraus und studierte die dortige Lebensweise. Nach einem Jahr verarbeitete er seine Beobachtungen zu einem Buch. In „Christus kam nur bis Eboli“ zeigte er, wie ein kultureller Riß Italien prägt, ohne den Mezzogiorno als minderwertig darzustellen. Daß kulturelle Unterschiede nicht nur zwischen Süd- und Norditalien herrschen, sondern der Alltag in den verschiedenen Regionen seine jeweiligen Eigenarten hat, beschreibt das neu aufgelegte Reisebuch „Italien“ aus der Reihe Anders Reisen im rororo- Verlag. Wie lebt eine typische Familie in Neapel, was bedeutet Arbeitslosigkeit gepaart mit Überlebenskunst?

Seit der Erstausgabe des Reiseführers 1983 hat sich in der fünftgrößten Industrienation der Welt eine Menge getan. Die Mafia ist mittlerweile flächendeckend mit der Politik verbandelt, die Jugendkultur im Wandel begriffen. Immer mehr junge Leute in Neapel und anderswo engagieren sich mangels Arbeit und Karriereaussichten in sozialen Einrichtungen. Sie pflegen in den Sommerferien lieber Aidskranke, als in Rimini am Strand abzuhängen.

Unterwegs in Italien

Los und Leid der Immigranten aus Eritrea und dem Norden Afrikas bescheibt das Buch ebenso wie die Auflösung der Lebensgemeinschaft Familie. Spätestens im Sommer, wenn immer öfter alte Leute ins Krankenhaus abgeschoben werden, weil die Jungen ungestört Ferien machen wollen, wird deutlich, wieviel die familiäre Solidarität noch wert ist.

Weshalb viele Italiener nicht nur mit der Familie, sondern auch mit der Politik nicht zurechtkommen, wird verständlicher, wenn man die Geschichte des Landes kennt. Geschichte, Politik und Medien sind deshalb ausführliche Kapitel gewidmet. Wer eigene Erfahrungen sammeln möchte, findet im Serviceteil jede Menge wichtiger Adressen von politische Gruppen, aber auch Wissenswertes über Übernachtungsmöglichkeiten und Restaurants in den verschiedenen Regionen.

Daß in dem 370seitigen Reiseführer Abhandlungen über Kunstschätze auf dem Stiefel fast völlig fehlen, versteht sich angesichts der Fülle soziologischer Betrachtungen von selbst. Die Autoren Conrad Lay und Michaela Wunderle haben statt dessen die Menschen unter die Lupe genommen – ein Thema, von dem man nicht genug kriegen kann. Christine Berger

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