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SanssouciRundumschlag

■ Wohnkultur, Folge 6: Plädoyer für das erwachsene Möbelstück

Das schönste am Ende der Studienzeit war ja eigentlich, endlich die dafür vorgesehenen Behausungen verlassen zu können. Beziehungsweise sie – den neuen Lebensumständen, Bedürfnissen und sich langsam herausschälenden Vorlieben entsprechend – zu entrümpeln und umzukrempeln. Entschieden eine der schöneren Übungen auf dem beschwerlichen Weg zum Erwachsenwerden! Denn die typischen studentischen Berliner 1-Zimmer- Küche-Bad-Behausungen sind ja wie Löwenzahn: Hast du eine gesehen, kennst du alle. Sie liegen bekanntlich meist in Hinterhaus oder Seitenflügel, und weil diese in bewährter Riegelmanier einen mehr oder weniger attraktiven Hof umkreisen, weichen ihre Grundrisse nur selten von der gängigsten Variante ab: langer Flur, erste Tür rechts die Küche, zweite Tür das Bad (wenn überhaupt!) und geradeaus durch das Zimmer. Gäste saßen entweder auf dem Bett oder am raumbedingt kleinen Küchentisch. Ihre Zahl war deshalb entweder auf sagen wir sechs oder vier begrenzt. Der Zustand des Schreibtisches stand zwar nicht in direkt proportionalem Verhältnis zu Lerneifer und Studienerfolg – je übersäter, desto schlauer. Aber nur Wahnsinnige hätten die ebenso geheime wie sensible Ordnung der rechts und links gestapelten Fotokopien, Skripte, Zeitschriften und aufgeschlagenen Bücher ohne Not – also auch für Gäste nicht – zerstört.

In Wohngemeinschaften war es eigentlich auch nicht anders: Dort stand der belegte Schreibtisch zwar vielleicht in einem erheblich größeren Zimmer. Auch der Tisch in der Küche war größer, zuweilen riesig, dafür mit (vielen) anderen jederzeit zu teilen. Die Gäste saßen also auch hier auf dem Bett oder mit (vielen) anderen am dieserart für private Zwecke ebenfalls geschrumpften Küchentisch. Kurz: Das schlimmste an studentischen Wohnbedingungen war nicht ein besetztes Bad. Oder chronisch fehlender Stauraum. Auch nicht der wummernde Zimmernachbar und nicht die fehlende Aussicht. Am allerschlimmsten war, ob in der 1-Zimmer-Butze oder in der 250-Quadratmeter-WG: Nie war Platz für einen vernünftigen Tisch. Und das heißt einen großen Tisch, über den man frei verfügen kann.

Ein vernünftiger, großer, frei verfügbarer Tisch ist nämlich das erwachsenste Möbelstück überhaupt. Über seine naheliegenden Vorteile hinaus erfüllt er zudem komplexe und wesentliche Funktionen. Er ist zum Beipiel zutiefst ökologisch, weil er sich durch funktionale Wechselbewirtschaftung viel besser regeneriert und erhält und nicht zumüllt. Psychologisch gesehen stützt ein freier Zugriff das Selbstvertrauen, und die Wahlmöglichkeit zwischen diversen Funktionszuweisungen fördert Entscheidungsfreude und Kreativität. Auch die ökonomischen Funktionen sind nicht zu unterschätzen: man kann sich geldsparend seine Klamotten selber nähen oder in Notzeiten Heimarbeiten größeren Zuschnitts mühelos bewältigen. Am wichtigsten ist natürlich die soziale Funktion: ein vernünftiger, großer, frei verfügbarer Tisch (man kann es gar nicht oft genug wiederholen) ist das beste Mittel gegen Vereinsamung, Maulfaulheit und das neuerdings beliebte Cocooning. Da passen auch mal 12 Personen dran. So viele kriegt man auf kein Sofa. Barbara Häusler

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