Schrubben für Freundschaft

■ Ein internationales Jugendcamp pflegt die Gräber von Kriegsopfern auf dem Osterholzer Friedhof / Erst Grabsteine schrubben, dann zum Militär

Seit gestern kann man die Namen auf den schmalen, vermoosten Grabplatten wieder erkennen. Darunter liegen sie paarweise: Levie Wachuch und Wladimir Wojtinc, Theodor Sibarew und Michael Gladini. Vier von tausend Personen, die auf dem Gräberfeld für die osteuropäischen Kriegsopfer auf dem Osterholzer Friedhof beerdigt wurden. Verschleppte, Zwangsarbeiter, KZ-Opfer. Namentlich bekannt immerhin. Anders als die 800 anonymen Toten unter dem gepflegten Grasfeld nebenan.

„Zusammengetragen wurden die Leichname hier seit Kriegsende bis 1956“, erklärte Friedhofsgärtner Marian Adamczyk gestern morgen einer ungewöhnlichen Besuchergruppe: 32 Jugendliche aus elf Nationen saßen um ihn und die Jugendreferentin Isa Nolle herum. Zur ersten Arbeitspause im Schatten der alten Bäume standen beim Jugendcamp des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge Informationen über das Grabfeld auf dem Programm – da waren die meisten Namenssteine bereits ausgehoben. Denn viele der Jugendlichen, die für zwei Wochen nach Bremen kamen, pflegen nicht zum ersten Mal im Leben Kriegsgräber.

Tonia und Ieva beispielsweise. Die eine aus Rußland, die andere eine Lettin, knien einträchtig beeinander und schrubben Steine. Ähnliches haben sie schon in den Heimatländern getan – auch für deutsche Tote. Soldaten. Was die Eltern dazu gesagt haben? Besser als wenn du das für Russen tust, fanden Ievas Eltern. Bei Tonia war es anders. Deren Mutter ist Übersetzerin für Deutsch und engagiert sich schon lange. Also auch Tonia. Im übrigen vermeiden die beiden jungen Frauen das Gespräch über Politik. „Wir sind eben gerne mit Menschen aus anderen Ländern zusammen“.

Ein paar Meter weiter buddeln zwei junge Männer Gehwegplatten aus. Didzis und Andris, zwei Letten. Auch sie gehören zur großen Gruppe der osteuropäischen GräberpflegerInnen des Camps. „Machen wir uns doch nichts vor, es geht den jungen Leuten auch ums Reisen“, sagt dazu Volksbundleiter Rolf Reimers. Aber er setzt darauf, daß hinter der Teilnahme am Camp mehr steckt. Deshalb liegt ihm daran, daß die Gruppe die KZ-Gedenkstätte in Bergen-Belsen besucht – und eine Bremer Gastfamilie kennenlernt.

Gastfamilie, das war am Sonntag – vielleicht dem verrücktesten Tag in Didzis Leben. Der schmale Architekturstudent, der erst vor sechs Tagen seine Magisterprüfung bestand, ist immer noch hin und weg. Wenn er an die Ausflüge, das Essen und das Gespräch denkt, rudert er glatt mit den Armen. Dabei ist er eigentlich ein zurückhaltender Typ. Einer, der viel nachdenkt, und mit seinen 21 Jahren schon von Zeiten spricht, als er „noch dumm und jung“ war. Weil er einen Kurs an der russischen Schule besuchte, wo er schießen lernte. Und möglicherweise auch später noch einmal, weil er glaubte, als Pazifist keine Waffe in die Hand nehmen zu wollen. „Was machst du, wenn Banditen kommen und deine Kinder wegnehmen wollen?“, hatte der Lehrer ihn daraufhin gefragt. Da wurde Didzis zögerlich, und wenn er in ein paar Wochen nach Lettland zurückkehrt, will er seinen Militärdienst antreten. „Denn Banditen gibt es immernoch. Welche, das sage ich nicht“, lacht der Lette.

Seine Gräberpflege ist bis heute ein kleines, patriotisches Bekenntnis: Daß die Russen die Gräber deutscher Soldaten 50 Jahre lang verkommen ließen, habe ihm weh getan, sagt er. „Wenn man den Krieg gewinnt, kann man doch Größe zeigen und auch die Gräber der Feinde pflegen.“ Er selbst pflegt ja auch – Gräber und das Gespräch. „Ich habe mich lange mit einer Russin unterhalten. Sie denkt genau wie ich“, berichtet er bewegt. Ebenso ging es ihm mit einem Slowenen: „Wir sagen beide, daß eigentlich niemand Krieg will. In Bosnien schießen doch Profis. Es geht ums Geschäft“.

Darin will er nicht verwickelt werden. Dagegen würde er mit allen Mitteln angehen. Aber das spricht nicht gegen die Freundschaften, die er über Kriegsgräbern schließt. Eva Rhode