Krach down under

■ Nach der Kaperung der "Rainbow Warrior II" durch die französische Armee sind die NeuseeländerInnen wütender denn je und überlegen sich neue Formen des Protests. Ein ganzes Volk unterstützt Greenpeace Aus Auckland Dorothea

Krach down under

No!!!“ schreit die Frauenstimme ins Telefon und noch einmal: „No!“ Dann ist nur noch ihr Husten zu hören – unterbrochen von Keuchen und dem Geklirre von splitterndem Glas. Dann bricht die Leitung zusammen, und eine Männerstimme fragt ins Leere hinein: „Stephanie, Stephanie – hörst du mich?“

Mit den entsetzten Schreien der Greenpeacerin Stephanie Mills beim Angriff der französischen Marines auf die Rainbow Warrior II begannen die Neuseeländer ihren gestrigen Tag. Ein ums andere Mal strahlten die Radiosender das letzte Telefongespräch aus der Zwölfmeilenzone vor Moruroa aus. Sie brachten Einzelheiten über das Rammen des Schiffes, den Tränengaseinsatz und die Sachschäden an Bord. Und sie lieferten gleich die Faxnummern von „Président Chirac“ und seinem Botschafter in Wellington hinterher. Der neue französische Angriff kam auf den Tag genau zehn Jahre nach dem mörderischen Attentat Pariser Geheimdienstagenten auf die erste Rainbow Warrior im Hafen von Auckland.

„Ohne diese Gewalt wäre ich zu Hause geblieben“, sagt der bleiche alte Mann im grünen Trainingsanzug. Als die Schreie aus dem Radio kamen, mußte er einfach seine Sachen packen. Auf der 45minütigen Zugfahrt malte er das erste Transparent seines Lebens: „Bolger, du bist viel zu schwach“, steht darauf. Damit steht er stundenlang im Regen auf dem Queen Elizabeth Square am Hafen von Auckland, wo Greenpeace den ganzen Tag über eine Mahnwache zum zehnten Jahrestag des Attentats abhält. Passanten sagt er: „Unser Premierminister muß eine Fregatte zum Schutz der Rainbow Warrior losschicken. Wofür haben wir denn eine Marine?“ Nicht wenige stimmen ihm zu.

Neben ihm verteilt ein Musiker, der auch nicht zu Greenpeace gehört, englisch- und französischsprachige Brieftexte, die Schulklassen, Krankenschwestern „und überhaupt alle, die keine neuen Atomtests wollen“ nach Frankreich schicken können. „Die Franzosen sind fast alle gegen die Tests“, ist er überzeugt, „sie müssen wissen, daß sie nicht allein sind.“ Und während die wenigen bekennenden Atomtestgegner im 20.000 Kilometer entfernten Frankreich ganz auf den internationalen Druck vertrauen, glaubt der Neuseeländer, daß nur die Franzosen selbst Chirac von der Bombe abhalten können.

Der konservative neuseeländische Regierungschef Jim Bolger bleibt unterdessen bei seinem moderaten Vorgehen der vergangenen Wochen. Gestern lud er den französischen Botschafter vor und erklärte im Fernsehen, daß er „sehr unglücklich über das Geschehen“ sei. Das Weitere will Bolger dem Ausland überlassen. „Wir brauchen eine größere internationale Mobilisierung“, sagte er.

Den dreieinhalb Millionen Neuseeländern reichen derartige Erklärungen nicht mehr.

Gestern bombardierten sie ihren Premier von der Mahnwache aus und in den zahlreichen „Talk- Radios“ des Landes mit Vorschlägen und Kritik: Er soll den Weltsicherheitsrat einberufen, den französischen Botschafter nach Hause schicken, den neuseeländischen aus Paris abberufen. Und er soll das populäre Rugby-Team „All Black“ davon abhalten, im Herbst gegen Frankreich zu spielen.

Uneingeschränkte Sympathie hingegen genießen die Greenpeacer. Seit Wochen steht das Fortkommen ihres Bootes im Mittelpunkt des nationalen Interesses. Ihr Büro in der York Street im Aucklander Stadtteil Parnell ist geradezu zum Zentrum der neuseeländischen Atompolitik geworden. Das Fernsehen hat Live-Berichterstatter in dem zweistöckigen Reihenhaus postiert. Zwischen den Papierstapeln, Videos und tragbaren Telefonen der Umweltschützer berichten sie über das Warten auf Nachrichten aus Moruroa und über die weiteren Pläne der Organisation. Und gleich nach der Erklärung von Premierminister Bolger kommt die langjährige Greenpeacerin Bunni McDiarmid ins Bild, die erklärt, weshalb Neuseeland viel radikaler reagieren muß.

Seit 1985 ist das neuseeländische Greenpeace-Büro gewachsen. Gut zwei Dutzend Menschen arbeiten heute hauptberuflich dort. Moralisch unterstützt werden sie von einem ganzen Volk entschiedener Atomgegner. Bei der Mahnwache zeigt sich diese Stärke: Aufmunternd hupend fahren die Autofahrer im Schrittempo an den Greenpeacern vorbei. Aus heruntergekurbelten Scheiben werden Spenden herausgereicht. „Alle Neuseeländer sind gegen die Tests“, erklärt eine junge Mutter ultimativ. „Es gibt hier wirklich keinen einzigen Grund, dafür zu sein.“

Die Gegnerschaft hat eine lange Tradition. Am Anfang stand die kleine, aber letzlich erfolgreiche Bewegung gegen den Vietnam- Krieg. Bevor der Labour-Politiker David Lange in den achtziger Jahren Neuseeland per Gesetz zur entnuklearisierten Zone erklärte, der sich kein atomar betriebenes Kriegsschiff nähern darf, hatten sich schon viele Dörfer und Stadtteile eigenständig als „atomfreie Zonen“ deklariert. „Jahrelang wurden wir für verrückt erklärt“, erinnert sich eine Greenpeacerin, deren Vater schon in der Friedensbewegung aktiv war, „aber irgendwann waren wir so stark, daß Lange nachgeben mußte.“

Ähnliche Erfahrungen haben die NeuseeländerInnen in ihrer kurzen Geschichte schon öfter gemacht. Bevor sie zu Anti-Atom- Pionieren wurden, führten sie als erste das Frauenwahlrecht ein und machten als erstes Land die staatliche Wohlfahrt zum Gesetz. „Wir sind ein kleines Volk, aber gerade das ist manchmal ein Vorteil“, sagt eine alte Frau in der Mahnwache stolz, „wenn hier jemand eine gute Idee hat, kann er gleich die Regierung anrufen.“