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Der „HörZu“-Mitnahmeeffekt

Im dualen Rundfunksystem machen die Fernsehsender längst nicht mehr nur Fernsehen. Das lukrative Huckepack-Geschäft mit den CDs zu Shows und Serien bringt Image und Kohle  ■ Von Karl Wegmann

Erinnert sich noch jemand an „Deep Purple“? Ja? Dann bestimmt auch an ihr Album von 1970, „Deep Purple in Rock“. Die Platte der britischen Leichtmetaller wurde damals in Deutschland von der HörZu gesponsert. Es war natürlich klar, daß das Engagement des konservativen Fernsehblättchens für progressive Rockmusik, dieses alberne „HörZu präsentiert...“, absolut nichts mit Kulturförderung, aber alles mit Reklame, sprich Geschäftemacherei, zu tun hatte.

Trotzdem haben wir uns damals, Haare bis zum Arsch und Revolution im Herzen, gewundert. Heute, wo das Fernsehvolk Orffs „Carmina Burana“ für die Komposition eines Bonbonherstellers hält und Werbespots für Damenbinden mit einstigen Hippie-Hymnen unterlegt werden, wundern wir uns über gar nichts mehr.

Wie auch, gibt es doch inzwischen Fernsehsender, die Millionen scheffeln, indem sie fast ausschließlich Reklame für CDs (sie nennen es Videoclips) senden, ja diese Musikstückchen dann auch noch selbst, neu zusammengestellt, auf Platte pappen und zum Beispiel als „MTV unplugged“ verscherbeln, wofür auf dem Kanal wieder die Spots laufen usw. usw. – ein wunderbarer Kreislauf.

Wo so viel Geld fließt, hat natürlich auch die Konkurrenz das Geschäft mit den runden Silberlingen entdeckt. Denn im Zeitalter der allgemeinen Kanalüberflutung muß eben jeder Sender mit allen Mitteln auf sich aufmerksam machen. Um Imagewerbung und andere Mitnahmeeffekte bemüht, haben also auch Sat.1, Pro7 und RTL den Kreislauf von Soap und Single längst als nimmer versiegendes Bächlein zum Goldschürfen ausgemacht.

Ganz einfach macht es sich zum Beispiel Sat.1 mit seinem „Hologram Dance“. Der Kommerzsender hat einfach drei Dutzend aktuelle Dancefloor-Hits zusammengeklaubt und wünscht „fröhliches Abhotten“. Einziger Grund, warum die Compilation unter dem Sat.1-Logo erscheint: siehe oben! Den Kids, die auf Snap und D. J. Bobo stehen, prägt sich das Logo ein, folglich werden sie jedesmal, wenn sie „Welcome to Tomorrow“ hören, wahrscheinlich auch an den Kommerzsender denken. Nachwuchsfang für die Einschaltquoten. Big money!

Kaum interessanter sind die CDs mit der Musik zur Serie, Show oder zum TV-Film. Bis zur Schmerzgrenze treibt uns da RTL mit „Traum Hochzeit – Das Album“ selbstverständlich „incl. Titelsong ,Miracle‘ aus Traum Hochzeit“. Haufenweise Geiger und Glocken; Putten schwirren, ausgewachsene Engel weinen, die Erde bebt, kurz, dem Schmalz wird die Krone aufgesetzt – Daumen runter für Interpret Gordon, laßt die Löwen los!

Um Großkatzen geht's auch bei einer anderen RTL-CD: „Siegfried & Roy – Dreams & Illusions“. Auf dem Cover sehen wir die beiden deutschstämmigen Ami-Illusionisten, die aussehen wie gefönte, aber in die Jahre gekommene Strichjungen, mit einem ihrer weißen Tiger; aufs Scheibchen selbst haben sie die Hintergrundmusik aus ihrer Las Vegas Show und aus dem „TV-Special“ gepackt, darunter einen Michael- Jackson-Song, das unvermeidliche „1492 – Conquest of Paradise“ und selbstverständlich auch „O Fortuna“ aus „Carmina Burana“ – oder ist das doch aus dieser Schokoladenreklame?

Der passendste Titel ist jedoch von Enigma und heißt „Mea Culpa“. RTL-Steuermann Thoma sollte eins draufsetzen, höchstselbst eine Version des Liedchens einstudieren und als Maxi-Auskoppelung herausbringen. Titel: „Mea Maxima Culpa“.

Jetzt aber mal etwas positiver! Allen über 40jährigen sei wärmstens das Sat.1-Werk „Das Schwein – Der Original-Soundtrack“ aus dem gleichnamigen Fernseh-Dreiteiler mit Götz George empfohlen. Wie ein blinder Wurm durch fetten Humus haben sich die Macher dieses Films durch die oberen Positionen der Hitparaden der 60er, 70er und 80er gebohrt. Herausgekommen ist eine Perle, die jede Oldie-Disco locker rauf- und runterdudeln kann. Dann hören sie alle wieder entzückt The Animals („House of the Rising Sun“), Shockin' Blue („Venus“), Uriah Heep („Lady in Black“), Bonnie Tyler („Lost in France“) oder auch Tom Waits („The Piano Has Been Drinking (Not Me)“). Das einzig völlig belanglose Popstück, „Time's a Great Healer“ von Unemployed Ministers, wurde extra für den Film geschrieben und Gott sei Dank ans Ende der CD verbannt. Kleine Kritik zu „Me & Bobby McGee“. Uns wird die völlig unakzeptable Version von Kenny Rogers zugemutet. Das Original von Kris Kristoffersen hätte da besser gepaßt, aber wir wären auch mit der Janis- Joplin-Interpretation zufrieden gewesen, na gut, meinetwegen auch mit der von Roger Miller, aber Kenny Rogers? Nee!

Einen echten Treffer haben die Sat.1-Film- und Soundtrackbastler dagegen mit „Sunny Afternoon“ von den Kinks gelandet. Ray Davies' Song aus dem Jahre 1966 läuft nämlich gerade sehr werbewirksam in der Glotze als Klangkulisse in einem Reklamespot. Mir ist nur gerade entfallen, wofür da geworben wird. War es Diät-Cola, Abflußreiniger, oder waren es die Damenbinden? Das Fernsehvolk wird's schon wissen.

Zum Schluß noch ein paar Worte zu Matthias Frings, diesem bewunderungswürdigen Menschen, der uns, ausgestattet mit grenzenloser Toleranz und einem abgrundtiefen Verständnis, leider nur noch bis zum 17. Juli die Fein- und Grobheiten der menschlichen Sexualität näherbringt.

Bedauernswerterweise ist sein Musikgeschmack nicht so exquisit wie sein Wissen über Erotik, trotzdem brachten er und Pro7 eine Doppel-CD heraus, die so heißt wie seine Sendung: „liebe sünde“. Wie erzählt wird, soll Frings das Werk zur Chefsache erklärt und persönlich seine Plattensammlung durchstöbert haben, um die Compilation zusammenzustellen. Das Ergebnis ist so aufregend wie die Missionarsstellung in völliger Dunkelheit. Mensch, Frings, da machst du so eine tolle, außergewöhnliche Sendung, und zum Thema Sex & Musik fällt dir nur Gewöhnliches ein? Phil Collins? Bryan Ferry mit „Love Is the Drug“? Den Spruch hätte er schon 1975 an einen deutschen Liedermacher verkaufen sollen. Und bei Leidenschaft denkst du ausgerechnet an Don McLean und „Vincent“, einen Song über einen Maler, der sich ein Ohr abgesäbelt hat?

Auf CD-2 hast du es dir dann noch einfacher gemacht und einfach Stücke mit dem Wort „Sex“ im Titel ausgesucht: „Let's Talk about Sex“, „I Wanna Sex You up“ „You Sexy Thing“, „I'm too Sexy“ usw. usf. Also Matthias, über so viel Mainstream und Phantasielosigkeit müssen wir uns doch arg wundern. Es muß ja nicht unbedingt Led Zeppelins „Lemon Song“ (du erinnerst dich: „Squeeze me, baby, till the juice runs down my leg!“) sein, doch wenn schon Jimmy Sommerville, dann sollte aber auch bitte Melissa Etheridge, die beste lesbische E-Gitarristin, vertreten sein. Und überhaupt: Wo sind sie denn, diese ganzen Girlies, die so selbstbewußt schockieren und ihre sexuelle Offenherzigkeit herausbrüllen, wie zum Beispiel Liz Phair in „Flower“ („Immer wenn ich dein Gesicht sehe / werde ich ganz feucht zwischen den Beinen“). In deiner Sendung weist du uns immer wieder darauf hin, daß es eine Erotik jenseits vom Schmusesex gibt; mit diesen beiden Silberlingen nun sieht es so aus, als könnte man/frau nur zu Kuschelrock lustvoll ficken.

Ein Blick über den Plattentellerrand hätte diese Zusammenstellung retten können. Da möchten wir dir zum Schluß noch einmal Liz Phair ans Herz legen, hat sie doch mit „Chopsticks“ den ultimativen Song zum Thema Sex & Fernsehen geschrieben: „He said he liked to do it backwards, and I said that's just fine with me, that way we can fuck and watch TV.“

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