: Ein Friese von Gottes Gnaden
■ Der Amerikaner Marren C. Fort kämpft gegen den Untergang von Europas kleinster Sprachinsel: das Saterfriesisch/ Feldforschung am Gartenzaun
„Ich glaube wirklich, daß Gott mich dazu bestimmt hat, das Friesische zu retten.“ Ein fanatischer Linguist sei er, sagt Dr. Marren C. Fort – und er habe eine Mission. Die Wege des Herrn sind in der Tat wundersam und unergründlich. Der, den er sich da ausgewählt hat, ist Amerikaner – ein Farbiger aus New Hampshire.
Im tiefsten Ostfriesland, in einem Vorstadtbungalow in Leer, serviert seine deutsche Frau Ute Ostfriesentee mit Kluntjes. Selbst die Teetassen tragen den Markenstempel Frisia. Dr. Fort, ein Kerl wie eine deutsche Eiche, hat sein Lächeln streng rationiert. In der Luft hängt deutlich ein Hauch von preußischem Arbeitsethos und Hingabe an die Lebensaufgabe. Und die hat imponierendes Format: Wo andere Leute Briefmarken sammeln oder ein Buch schreiben wollen, steht hier nichts Geringeres als die Rettung einer Sprache an.
Das Saterfriesisch ist ein vom Vergessen bedrohter, friesischer Dialekt; bei Dr. Fort genießt er Minderheitenschutz der höchsten Stufe. Das Saterfriesische gilt als der Seeadler unter den Sprachen. Nur 1500 Einwohner der Saterlandes haben in der Abgeschiedenheit der Moorlandschaft Ostfrieslands die alte Sprache bewahrt. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren sie ganz unter sich, nur mit dem Boot erreichbar. Erst in den 50ern wurde die erste Verbindungsstraße zur Außenwelt gebaut. Eine urwüchsige Sprachinsel, wie Linguisten sie in Europa kaum mehr finden können. Grund genug für den amerikanischen Germanisten, diese kleinste europäische Sprachenklave systematisch zu erforschen.
Denn Fort ist ein Sprachbesessener. Er beherrscht etliche europäische Fremdsprachen, sämtliche friesische Dialekte und spricht obendrein fließend plattdeutsch. Und er stellte das erste saterfriesische Lexikon zusammen, einen Erste-Hilfe-Kasten für die Verständigung. Denn auch untereinander verstehen Friesen sich nicht automatisch. Kenner unterscheiden drei Hauptdialekte und acht Mundarten, wie Fort erklärt. Das Saterfriesische z.B. habe starke Ähnlichkeiten mit dem Altenglischen und kaum mit dem Niederdeutschen.
Aber das sei nicht der eigentliche Grund für seine Sprachleidenschaft, versichert Fort, der neue Worte sammelt wie andere Bierdosen und das ganz selbstverständlich findet.
Die Odyssee des Dr. Marren C. Fort bis in seine zweite Heimat Leer, in der er die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, begann früh in den 50er Jahren. Damals war er unter den ersten drei Farbigen auf der elitären „Exeter Academy“ in Pennsylvania, aus der auch eine Reihe von amerikanischen Präsidenten hervorgegangen sind. In der Region lebten viele deutsche Emigranten, die Deutschland nach dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg den Rücken gekehrt hatten. Aber auch andere lernten Deutsch in Pennsylvania. Ukrainer, die in Hitlers Waffen-SS gewesen waren, schickten ihre Kinder zu deutschen Schulen. Gänzlich vergessen oder verdrängt hatten die deutsche Sprache jedoch jene Emigranten, die nach 1918 eingewandert waren. So kam es, daß man nach dem jungen Fort schickte, wenn eine deutsche Großmutter zu Besuch kam und man einen Dolmetscher brauchte. „Ich war der einzige Schüler ohne deutsche Vorfahren und trotzdem der beste Schüler. Ich weiß noch genau, wie der Lehrer sagte: ,Fort, aus Dir machen wir noch einen richtigen Preußen, dein Aussehen spielt dabei keine Rolle.'“
Der Außenseiterstatus Forts innerhalb der „anglosächsischen kulturellen Welt“ mag bei seiner manchmal enthusiastischen Deutschlandliebe ein unbewußter Faktor gewesen sein. Für Fort gehörte das zu den ersten Lebenserfahrungen. Geboren als einer von nur 50 Farbigen in einer Kleinstadt in New Hampshire, waren immer alle Augen auf ihn gerichtet. Der Vater arbetete als Arzt und die Mutter hatte eine Studienabschluß in Englisch – schwarzer Mittelstand. Trotz seines akademischen Aufstiegs in die WASP-Elite spürte er der die Diskriminierung. „Bestimmte Aspekte der anglo-sächsischen Kultur schließen zu viele Leute aus, ich halte einfach nicht viel davon. Man muß eben weißer Europäer sein, um als wahrer Amerikaner zu gelten. Aber in anderen kulturellen Bereichen, im Deutschen oder Französischen hast du sofort Bonus-Punkte, wenn du die Sprache fließend beherrschst und die Kultur kennst. Da nur wenige Leute Deutsch sprechen, entwickelt man sofort ein größeres Gefühl der Zugehörigkeit“ – auch, wenn man ein bißchen fremd und ein bißchen schwarz ist.
Doch Deutschsein ist für Fort auch Mentalitätssache. „Ich habe mich den Deutschen immmer nahe gefühlt“, erklärt der Amerikaner. „Als Kind war ich, was Pünktlichkeit angeht, ein Fanatiker. Diese amerikanische oder australische Art, des ,It'll be alright, mate', das ist nicht mein Stil.“
Was mehr sein Stil war, merkte der Student Marren C. Fort sofort, als er zum ersten Mal nach Deutschland kam. 1963 hatte er vor, hier seine Doktorarbeit zu schreiben. An Ort und Stelle bewahrheitete sich für ihr jener Alptraum, der Doktoranden nachts nicht schlafen läßt: Ein anderer saß bereits an seinem Thema. In den folgenden Weihnachtsferien begleitete er einen Kommilitonen nach Hause – und lernte über die Festtage friesisch. Mittlerweile hat er eine Stelle an der Uni Oldenburg.
Aber das wirklich Ungewöhnliche sei nicht seine Person oder gar die Hautfarbe, beschwichtigt Fort, sondern vielmehr seiner Arbeitsweise. Die besteht nämich aus reinster Feldforschung: Er befragt die Saterfriesen direkt und vor Ort. So zieht ein schwarzer Amerikaner über die Dörfer, grüßt über den Gartenzaun und hält mit dem alten Pastor ein Schwätzchen auf saterfriesisch. Manch altem Bauern sollen da schon mal die Augen feucht geworden sein.
„Das Entscheidende ist, daß man mit den alten Leuten über ihren Alltag in den 30ern in ihrer Sprache spricht, in friesisch“ erläutert Fort sein Vorgehen. „In hochdeutsch erfährt man nur die halbe Geschichte. Aber mich interessieren die sprachlichen Einzelheiten, und die bringt man nur in einem friesischen Gespräch heraus. Ich erkundige mich danach, was man gemacht hat, wenn es beim Kornschneiden Verletzungen gegeben hat, was da als Verband diente und – vor allen Dingen, wie es genau hieß.“
Eindringlich rührt Fort in seiner Teetasse in der sich leise knackend und äußerst gemächlich der große Zuckerkristall auflöst. Unzählige Male schon hat seinen Frau die feinen Tassen wieder gefüllt und das eine oder ander Stück gedeckten Apfelkuchen auf die Kuchenteller gehoben. Auch Ute Fort ist Emigrantin, beschreibt sich als „Schlesierin aus Boston“. Dorthin floh sie mit ihrer Familie nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch beide Kinder, die Jura an deutschen Universitäten studieren, verbrachten ihre Kinderjahre in den Staaten. Natürlich sind sie zweisprachig gewachsen und genießen die Vorteile, die wirkliche Bilingualität im Beruf beitet. Aber im Herzen, und Dr. Fort legt Nachdruck in die Betonung, „ist unsere Familiensprache das Deutsche.“
Susanne Raubold
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