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Deutsche Physiker gegen französische Bombe

■ 50 Jahre nach dem ersten Atomtest wenden sich 400 deutsche Physiker in einem offenen Brief an Chirac – und klammern dabei eigene Sünden aus

Göttingen (taz) – Die Creme der deutschen Physiker lehnt die geplanten französischen Atomtests ab. 50 Jahre nach dem ersten Atomtest in der Wüste von New Mexiko riefen 400 bundesdeutsche Physiker den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac zum Verzicht auf die Kernwaffenversuche auf dem Moruroa-Atoll auf. Mit der Testentscheidung werde „der qualitative Rüstungswettlauf weitergetrieben“, so lautet der am Wochenende in Göttingen per Akklamation verabschiedete offene Brief. Chirac solle den Mut haben, die Entscheidung zurückzunehmen.

Der Brief an Chirac war im Rahmen eines zweitägigen Fachgesprächs unter dem Titel „Die sichere Eingrenzung einer friedlichen Nutzung der Kerntechnologie gegen militärische Anwendung“ erarbeitet worden. Zu dem Gespräch hatten die „Deutsche Physikalische Gesellschaft“, die „Göttinger WissenschaftlerInnen für Frieden und Abrüstung“, die Naturwissenschaftlerinitiative „Verantwortung für den Frieden“ und die „Vereinigung Deutscher Wissenschaftler“ 40 hochrangige Experten aus Industrie, Hochschulen und Forschungsinstituten geladen.

Die Brisanz der geplanten französischen Tests liege vor allem in der Mißachtung des Geistes des Atomwaffensperrvertrages, meinten die Physiker. Weil es eine wirkliche Trennung zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft nicht gebe, sei dieser Sperrvertrag auf den politischen Willen der Beteiligten angewiesen. Denn: „Wenn ein Staat, der eine ausgebaute Kerntechnologie hat, Atomwaffen bauen will, so wird er dazu auch in der Lage sein“, so der Ehrenpräsident der deutschen Physikalischen Gesellschaft, Werner Buckel, in der Abschlußveranstaltung.

Es war der Tag der alten Mahner: Der 83jährige Carl Friedrich von Weizsäcker forderte: „Wir brauchen Wissenschaftler, die alle denkbaren Konsequenzen ihrer Forschung ohne Rücksicht auf Geldgeber und Interessengruppen aufzeigen.“ Weizsäcker, der an der Atomkriegsforschung der Nazis führend beteiligt war, erinnerte an den Widerstand Göttinger Wissenschaftler gegen den Plan des ehemaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß, eine deutsche Atombombe zu entwickeln.

Per Videoeinspielung wandte sich der in den USA lebende Physiker Viktor Weisskopf an seine deutschen Kollegen: „Die Welt darf nicht länger auf Bomben leben“, sagte der 86jährige, der an der Entwicklung der amerikanischen Bombe mitgearbeitet hat. „Ich habe gedacht, die Atmosphäre brennt“, erinnerte sich Weisskopf an den ersten Atomtest in New Mexiko. „Wir brauchen die Bombe nicht. Wir bedrohen uns damit nur selbst.“

Daß solchen Mahnungen und intellektuellen Einsichten nicht notwendig konsequentes Handeln folgt, hatte sich zuvor gezeigt. Intern war sich die Wissenschaftlerrunde zwar einig geworden, daß die Kontrolle über die Bestände an hochangereichertem Uran (HEU) der wichtigste Hebel gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen sei. Auf 2.200 Tonnen weltweit schätzen die Physiker die Bestände an diesem Bombenbaustoff.

Unterlaufen wird die Beschränkung jedoch beim Einsatz von HEU in Deutschland – vom geplanten neuen Forschungsreaktor in Garching bei München. Der soll mit hochangereichertem Uran betrieben werden. Dieser Widerspruch war nur am Rande Thema der Diskussion: „Im Interesse des Konsenses haben wir die kontroversen Themen ausgeklammert“, sagte einer der Teilnehmer. Jürgen Voges Seiten 2,7 und 10

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