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Die Angst vor der Lächerlichkeit

Das Problem, gegen britisches Veto das Vetorecht aufzuheben  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die Wunschzettel kommen per Fax: Der Deutsche Juristinnenbund möchte, daß die EU 1996 die Verletzung fundamentaler Frauenrechte als Erwägungskriterium für außenpolitische Aktionen verankert. Die Umweltverbände fordern, daß die Umweltpolitik als tragende Säule der EU festgeschrieben wird. Das Europäische Parlament will mehr Rechte, und der baden-württembergische Ministerpräsident Teufel verlangt eine stärkere Rolle der Regionalregierungen im Entscheidungsprozeß der EU-Institutionen.

Seit Wochen sind die Wunschlisten der verschiedenen Verbände und Organisationen für die Regierungskonferenz 1996 fester Bestandteil der Morgenlektüre Brüsseler Korrespondenten. Das Spektrum der Vorstellungen geht sehr weit auseinander, was daran liegen mag, daß offensichtlich niemand so genau weiß, was bei der geplanten Mammutveranstaltung eigentlich herauskommen soll. Noch scheint nicht einmal klar, wann die Konferenz genau beginnen wird, noch weniger, wie viele Wochen oder Monate sie dauern darf.

Die Europäische Union soll anders werden, besser natürlich. Beim letzen Halbjahresgipfel in Cannes Ende Juni haben die 15 Staats- und Regierungschefs noch einmal wiederholt, daß die EU fit werden muß für die Aufgaben des nächsten Jahrhunderts. Dazu zähle auch die Erweiterung nach Osten, schließlich hat sich die europäische Landkarte seit dem Ende des Kalten Krieges dramatisch verändert.

Helmut Kohl ist der Motor der Reformbestrebungen, nach der deutschen Vereinigung möchte er die europäische Einigung zu seinem zweiten Lebenswerk machen. Die Gereiztheit, mit der der Kanzler beim EU-Gipfel in Cannes kritische Fragen von Journalisten abbürstete, war mit der Sommerhitze allein nicht zu erklären. Der scheinbar unerschütterliche Optimismus zeigte feine Risse, die vermutlich mit dem Debakel um Europol zu tun haben. Mit gelassener Sturheit hatte der britische Premier John Major das Vorhaben der anderen 14 blockiert, dem Europäischen Gerichtshof eine Zuständigkeit bei Streitfällen einzuräumen, die bei der polizeilichen Zusammenarbeit auftreten könnten.

Im Grunde ging es dabei nur am Rande um Europol. Die Hartnäckigkeit, mit der Major dem Druck der Partner widerstand, trifft Kohls Zukunftspläne ins Mark. Major hat genau dort den Nagel eingeschlagen, wo Kohl hobeln will. Sein Ziel für die Regierungskonferenz ist es, die Innen- und Außenpolitik zur Gemeinschaftssache zu machen. Was bisher nur für die Wirtschaftspolitik gilt, soll künftig auch für die Innen- und Außenpolitik gelten: daß Beschlüsse mit Mehrheit und nicht einstimmig gefaßt werden müssen und daß die Gemeinschaftseinrichtungen vom Parlament über die Kommission bis zum Europäischen Gerichtshof für diese Bereiche mit zuständig sind.

Genau das hat die britische Regierung schon in Maastricht verhindert, weil sie um ihre Souveränität fürchtet. Damals wurde als Kompromiß das sogenannte Drei- Säulen-Modell entwickelt. Die erste Säule ist die gemeinsame Wirtschaftspolitik, bei der die 15 EU- Mitglieder bereits seit Jahren wie ein föderaler Staat handeln. Das europäische Parlament hat Mitspracherecht, die Kommission ist für die Ausführung verantwortlich, und der Europäische Gerichtshof wacht über die Gesetzmäßigkeit. Die beiden anderen in Maastricht beschlossenen Säulen, die Außen- und die Innenpolitik, sind in Wirklichkeit hohl. Ob es um Europol, ums Asylrecht oder um die Strategien für Bosnien geht – die 15 Regierungen schließen untereinander Verträge ab, die sich völkerrechtlich unwesentlich von denen unterscheiden, die Bonn etwa mit der Türkei oder mit den Staaten Südostasiens unterschreibt. Parlament, Kommission und Gerichtshof haben nichts zu melden.

Inzwischen scheint auch Kohl mulmig zu werden bei dem Gedanken, daß die geplante Währungsunion ohne politischen Rahmen entstehen könnte. In Maastricht hatte er die Aufgabe der D-Mark noch fest an die Bedingung geknüpft, dafür eine echte politische Union zu bekommen. Mehr noch als der Binnenmarkt ebnet die gemeinsame Währung der Wirtschaft den Weg in die Internationalisierung. Aber die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität etwa spielt sich nach wie vor im nationalen Rahmen ab, darüber kann auch Europol nicht hinwegtäuschen.

Was Kohl in Cannes besonders zu schaffen machte, war weniger Majors Haltung – die war abzusehen. Beunruhigender waren die Hinweise aus London, daß auch die Labour Party der EU keine weiteren Rechte einräumen will. Die Hoffnungen, die Kohl bisher klammheimlich an eine mögliche Wahlniederlage Majors knüpfte, schwanden dahin. Im Kanzleramt wird inzwischen halblaut darüber nachgedacht, ob es überhaupt Sinn hat, die Konferenz schon 1996 zu beginnen. Eine gescheiterte Konferenz, so die Befürchtung, könnte die EU lächerlich machen.

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