: Von der Saale zur technisch genormten Rinne
Die Bundesregierung will für 220 Millionen Mark die Saale schiffsgerecht ausbaggern. Doch die Verkehrsstatistiken sind falsch, die Umwelt an Saale und Elbe wird zerstört. An der Elbe drohen wie am Rhein häufige Hochwasser ■ Aus Steckby Annette Jensen
Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) argumentiert bisher mit uralten Zahlen, wenn er vehement für den Ausbau von Elbe, Saale und Havel eintritt. Dabei weiß er selbst am besten, daß die Prognosen über den immensen Zuwachs des ostdeutsche Schiffsverkehrs bis zum Jahr 2010 Makulatur sind. Wissmann sah sich deshalb genötigt, eine neue Studie über den zu erwartenden Schiffsverkehr auf der Saale erstellen zu lassen. Die schmort seit Monaten im Giftschrank und wird nicht einmal der betroffenen Landesregierung in Sachsen-Anhalt ausgehändigt.
Gestern veröffentlichte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), was der Minister unter Verschluß hielt: Die Prognosen der Essener Planco- Consulting für den Schiffsverkehr die Saale sind zwar nicht niedriger geworden, dafür aber noch kühner und wackeliger als zuvor.
Obwohl 1994 nur 45.000 Tonnen Güter im Hafen von Halle umgeschlagen wurden, rechnet Wissmann künftig mit 3,6 Millionen Jahresgütertonnen auf der Saale. „Im Schnitt tuckern jetzt zwei Schiffe pro Woche über die Saale“, sagt BUND-Experte Ernst Paul Dörfler. Für den Saaleausbau wolle der Bundesverkehrsminister 220 Millionen Mark ausgeben.
Damit nicht genug: Selbst wenn Wissmanns proklamierte Verkehrszuwächse eintreffen würden, wäre eine Vertiefung von Elbe und Saale ökonomisch sinnlos. Die Bahntrasse parallel zur Saale ist heute nur zu 30 Prozent ausgelastet, die freie Kapazität liegt bei 23 Millionen Jahrestonnen.
Wissmann von Zahlen unbeirrt
Wissman läßt jedoch seine Untergebenen unbeirrt weiter verbreiten, daß dem Schiffsverkehr in Ostdeutschland eine goldene Zeit bevorsteht. In 15 Jahren müßten sechs Millionen Tonnen Güter in der Hauptfahrtrichtung auf der Elbe transportiert werden. Und deshalb will er Buhnen (senkrecht in den Fluß ragende Steinwälle) in die Elbe und eine Staustufe an der Saalemündung bauen lassen – damit Schiffe mit 1,40 Meter Kieltiefe praktisch das ganze Jahr davor sicher sind, auf Grund zu laufen. Auf der Saale könnten dann sogar Euroschiffe mit 1.350 Tonnen Ladekapazität und 2,50 Meter Tiefgang verkehren.
Auf der Elbe kämen die gleichen Schiffe dann aber an 150 Tagen im Jahr nicht weiter, weil sie nicht über den Domfelsen bei Magdeburg hinweg in Richtung Nordsee kämen. UmweltschützerInnen fürchten, daß auf diese Weise Sachzwänge geschaffen werden sollen, die künftig auch Staustufen in der Elbe als wirtschaftlich notwendig erscheinen lassen. „Heute ist die untere Saale der Engpaß, der beseitigt werden soll, morgen wird es die Elbe sein“, meint Dörfler, der beim BUND die Arbeit der Elbe-Initiativen koordiniert.
Als Beleg führt er Erfahrungen aus Bayern an: Schon kurz nach der Fertigstellung des Rhein- Main-Donau-Kanals wurde darüber nachgedacht, die letzten freifließenden Kilometer der Donau für den Schiffsverkehr zu optimieren.
Solche Pläne bestreitet Achim Pohlmann, Präsident der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost, jedoch mit Nachdruck: „Das ist eine immer wieder erhobene und immer wieder falsche Unterstellung der Umweltgruppen.“ Staustufen in der Elbe seien nicht geplant – da unwirtschaftlich.
Der Buhnenbau in der Elbe hat dagegen schon begonnen. Gestützt auf den 1992 verabschiedeten Bundesverkehrswegeplan sind an mehreren Stellen Buhnen neu aufgeschüttet worden. „1993 kamen die ersten Bagger, und seither geht es hier rund“, erzählt Karl-Heinz Jährling vom Staatlichen Amt für Umweltschutz in Magdeburg. 550 Millionen Mark will das Verkehrsministerium hier in den nächsten Jahren in den Sand setzen. Jeder eingesetzte Pfennig führt angeblich zu einem 9,3mal so großen volkswirtschaftlichen Nutzen.
28,8 Millionen Mark Transportkosten sollen auf diese Weise pro Jahr eingespart werden. Und auf knapp 10 Millionen Mark wird die „Erschließung struktureller Arbeitskraftreserven“ veranschlagt. Wo die neuen Jobs allerdings entstehen sollen, bleibt im Nebel: Die regionalen Werften wären nur dann im Vorteil, wenn kleine, der Elbe angepaßte Schiffe gebaut würden. Der prognostizierte Kosten-Nutzen-Faktor ist außerdem nur deshalb so extrem günstig ausgefallen, weil lediglich 120 der 550 Millionen Mark Ausgaben tatsächlich in die Rechnung eingegangen sind: Der Rest der Kosten gilt als DDR-Verfallsbonus.
Eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die Buhnen hat es nicht gegeben. „Wir stellen doch nur den Zustand der 30er Jahre wieder her“, rechtfertigt Rolf Lack, Leiter des Wasser- und Schiffahrtsamtes in Magdeburg. Tatsächlich waren bis in die Nazizeit weite Teile des Elbufers mit Buhnen versehen, die dann während der DDR-Ära zum Teil unterspült und weggerissen wurden. Inzwischen ist allerdings der Elbsohle weiter abgesunken.
„Eine Wiederherstellung bedeutet somit eine Erhöhung der Buhnen. Die Erosion wird massiv verstärkt. Das ist Physik und keine Spinnerei“, ruft Franz Nestmann wütend. Bis vor einem Jahr hat er als Baudirektor in der Bundesanstalt für Wasserbau für den Verkehrsminister gearbeitet. Jetzt ist er Professor an der Universität Karlsruhe und ein freier Mann.
In einem feinkörnigen Untergrund wie im Elbebett strömt das Wasser natürlicherweise flach und breit durchs Land, erläutert Nestmann. „Wenn sie den Fluß begradigen, wird er schneller und nimmt mehr Feststoffe mit.“ Und wenn man das Wasser dann noch mit Buhnen in die Mitte zwingt, wird die Strömung noch stärker, und der Fluß tieft sich immer mehr ein. Das bedeutet nicht nur eine größere Hochwassergefahr für Hamburg und Glückstadt, sondern auch das Aus für weite Teile der Elbe- Auenwälder – die artenreichste Gegend in Mitteleuropa.
Bis zu drei Kilometer breit ist das Überschwemmungsgebiet im Mittellauf der Elbe. Manchmal zwei Wochen, manchmal für Monate im Jahr stehen die zum Teil 500 Jahre alten Stieleichen, die Ulmen, Eschen und Weiden im Wasser. In den Uferabbruchwänden nisten Eisvögel und hausen Biber, der in engen Zirkeln kreisende Rote Milan ist Ornithologen hier ein vertrauter Anblick. Auch See- und Teichfrösche sowie die vom Aussterben bedrohte Rotbauchunke quaken in den Elbauen.
Wenn sich Minister Wissmann aber durchsetzt, wird es das bald alles nicht mehr geben. Denn obwohl er seine Mannen stets betonen läßt, daß es keine Eingriffe an den Flußauen geben wird und der ökologische Wert der Elbe als nicht staugeregelter Fluß somit erhalten bleibt, gräbt er der auf unregelmäßige Wasserstände angewiesenen Landschaft mit den Buhnen das Wasser ab.
Noch dramatischer für die Natur wird sich allerdings der geplante Bau einer Saalestaustufe bei Klein Rosenburg auswirken. Auch hier verweist Wissmann auf Pläne aus den 30er Jahren, die wegen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr umgesetzt werden konnten. „Gerade die letzten Staustufen vor der Mündung haben aber oft unvorhersehbar schlimme Folgen“, warnt Alfons Henrichfreise vom Bundesamt für Naturschutz. Und die Lage an der Saale sei besonders prekär: Weil der Fluß an dieser Stelle nur ein Gefälle von 18 Zentimetern pro Kilometer hat, würde selbst die niedrigste Stauvariante den Wasserstand etwa 20 Kilometer weiter flußaufwärts verändern. „Flußmorphologisch gesehen entspricht das einem 18 Meter hohen Wehr am Rhein“, hat Henrichfreise ausgerechnet.
Sachsen-Anhalts Umweltministerin Heidrun Heidecke (Bündnis 90/Die Grünen) will jetzt versuchen, den von der Vorgängerregierung in Magdeburg mit ausgeheckten Bundesverkehrswegeplan zu verändern. Im Bundesrat will sie die Wasserstraßenplanungen in Ostdeutschland überprüfen lassen. „Zum Glück ist die Kasse von Verkehrsminister Wissmann ja nicht so voll, wie er es gerne hätte“, frohlockt sie.
Auch Ernst Paul Dörfler hat gewaltfreien Widerstand bis hin zum zivilen Ungehorsam angekündigt, um die Elbe vor einem Schicksal zu bewahren, wie es alle westdeutschen Flüsse erlitten haben: Breite, tiefe, schnelle Wasserstraßen mit vielerorts zubetonierten Ufern – „technisch genormte Gerinne“. Nicht ein einziger großer Fluß in Westdeutschland fließt heute noch ungestaut von der Quelle bis zur Mündung. Die Anzahl der Störche in den alten Bundesländern beträgt deshalb nur ein Zehntel der in den neuen Bundesländer.
Renaturieren statt ausbaggern
Rocco Buchta vom Naturschutzbund geht diese Position allerdings noch nicht weit genug. Er fordert die Renaturierung weiter Teile der der Elbe und der Saale (siehe Karte) – eine Wiederherstellung des Zustands vor dem 19. Jahrhundert, als die Transporteure die Anpassung der Flüsse an die Schiffe durchzusetzen begannen. „Die Elbe nördlich von Magdeburg bis nach Lauenburg wird für den Schiffsverkehr überhaupt nicht gebraucht“, sagt er. Der Mittellandkanal könne den gesamten Schiffsverkehr locker aufnehmen – und nach dem Ausbau einer Schleuse und eines Schiffshebewerks sei diese Wasserstraße sogar für große Schiffe passierbar. Einziger Knackpunkt: Die Tschechen wollen den Fluß benutzen, weil sie dafür nicht zahlen müssen, während auf Kanälen eine Maut fällig wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen