: „Ein kluger Krimineller wird V-Mann“
Die gespannten Erwartungen an den Münchner Plutonium-Prozeß haben sich nicht erfüllt: Die Rolle von Geheimdiensten bleibt im dunkeln / Richter ums Ausgewogene bemüht ■ Aus München Bernd Siegler
„Es war für das Gericht eine neue Erfahrung, mit einem Geschehen konfrontiert zu sein, in dem fast alle handelnden Personen mit Tarnnamen und Legenden ausgestattet waren.“ Nicht nur die Fülle von V-Männern und ihrer widersprüchlichen Aussagen machte dem Vorsitzenden der 9. Strafkammer im Landgericht München, Richter Heinz Alert, zu schaffen, sondern auch die Erwartung, der Prozeß könnte den gesamten Plutoniumskandal entwirren und neben den drei Angeklagten weitere Schuldige aus Chefetagen von Geheimdiensten, Polizei und Politik liefern. Sorgfältig wählte Alert jedes Wort seiner Urteilsbegründung, mit der er gegen jeden der drei Angeklagten Freiheitsstrafen zwischen drei und vier Jahren und zehn Monaten verhängte, und entschied sich dafür, die Tatprovokation durch den BND und vor allem das Bayerische Landeskriminalamt als „gerade noch zulässig“ einzustufen.
Licht ins Dunkel brachten die elf Verhandlungstage kaum, zuviel fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Nur eines steht zweifelsfrei fest: Am 10. August 1994 landete um 17.45 Uhr eine aus Moskau kommende Linienmaschine der Lufthansa auf dem Münchner Flughafen. Die Polizei beschlagnahmte insgesamt 761 Gramm Nuklearmaterial, darunter 363,4 Gramm Plutonium 239. Bayerns Innenminister Günther Beckstein sprach kurz vor den Landtagswahlen im Freistaat stolz von einem „Schlag gegen die internationale Atom-Mafia“. Schon damals aufgekommene Zweifel, ob nicht der Bundesnachrichtendienst (BND) oder das bayerische Landeskriminalamt (LKA) den Schmuggel inszeniert hätten, wurden vom Tisch gefegt.
„Die Angeklagten waren ein Spielball der V-Leute“, faßte Werner Leitner, Verteidiger des Hauptangeklagten Torres, nach der Beweisaufnahme zusammen. Er ging in seinem Plädoyer sogar so weit, BND und LKA „strafbares Verhalten“ vorzuwerfen.
In der Tat, wie Herrscher des Reiches der Schatten – wie der Tarnname der BND-Operation, „Hades“, nahelegt – wirkten die Angeklagten nicht. Drei gescheiterte Kaufleute, teilweise verschuldet mit bis zu 400.000 Dollar, die sich bisweilen als Aushilfsköche verdingten, dann wieder mit allem handelten, von Hubschraubern bis hin zu Schrott. Aus den Aussagen des Trios schälte sich heraus, daß die V-Männer „Rafa“ und „Roberto“ von Anfang an ihre Finger im Spiel hatten. Die ersten Gespräche im Frühjahr 1994 in Madrid hatte das BKA ohne Wissen des BND observiert.
„Roberto“, ein Dreifachagent im Sold von BND, BKA und der spanischen Polizei, war schließlich vom BKA zurückgepfiffen worden, nachdem klar war, daß sich das Plutonium nicht in Deutschland befand. Doch „Rafa“, BND- Agent mit besten Beziehungen zum LKA, forcierte den Deal weiter. Als Zeuge vor Gericht sagte „Roberto“ aus, „Rafa“ habe immer gesagt, bei dem Nukleargeschäft sei „viel zu verdienen, das läßt man sich nicht entgehen“. Der Angeklagte Bengoechea betonte, „Rafa“ habe immer darauf bestanden, daß das Geschäft „unbedingt“ in München abgewickelt werden müßte. Kein Wunder, winkte dem BND-Mann doch eine „Sicherstellungs- und Aufgreifprämie“ in Höhe von 300.000 Mark, wie seine V-Mann-Führerin „Sybilla“ von der Madrider Residentur des BND bestätigte. „Sybilla“ gestand ein, daß der V-Mann „nicht mehr kontrollierbar“ gewesen sei.
„Roberto“ ist davon überzeugt, daß „Rafa“ die deutschen Sicherheitsbehörden „aufs Kreuz gelegt“ hat. Rafa sei schlichtweg ein „begnadeter Märchenerzähler“. Diese Einschätzung bewahrheitet sich vor dem Münchner Landgericht. Im Widerspruch zum Ermittlungsergebnis behauptete „Rafa“, er habe bis zuletzt gedacht, das Nuklearmaterial befinde sich in Berlin. Aus „richterlicher Fürsorge“ verzichtete jedoch Richter Alert auf eine Vereidigung. „Über ,Rafa‘ hält noch immer der BND seine schützende Hand“, empörte sich Verteidiger Leitner. „Ein kluger Krimineller zieht es eben vor, V-Mann zu werden.“
Nach dem Rückzug von „Roberto“ aus den Verhandlungen tauchte im Juli letzten Jahres der verdeckte Ermittler des LKA, „Walter Boeden“ als Kaufinteressent für Plutonium auf. Er handelte bei diesem brisanten Einsatz ohne die gesetzlich erforderliche richterliche Genehmigung. Boeden wußte das Trio, das Ende Juli 1994 mit einer Probe des radioaktiven Materials in München weilte, mit einer Bonitätserklärung der Hypobank über 276 Millionen US- Dollar für vier Kilogramm Plutonium und 2,5 Kilogramm Lithium zu beeindrucken. Die Hypobank schrieb die Erklärung auf ausdrücklichen Wunsch des LKA aus, Innenminister Beckstein wußte davon angeblich nichts.
Der gibt sich sowieso ahnungslos. So will er erst im Verlauf des 10. Augusts erfahren haben, welch brisante Ladung nachmittags in München eintraf. Schon am 7. August kannte Boeden jedoch den Termin, schon seit 25. Juli tagten in München die Einsatzstäbe unter Hinzuziehung des bayerischen Landesamtes für Umweltschutz. Die informierten sogar ihre Bonner Kollegen. Dort riet man, „dringend auf das LKA einzuwirken“ und den Transport zu stoppen. Pech für Beckstein, daß BND- Mann „Adrian“ zudem bestätigte, daß das bayerische LKA spätestens ab dem 20. Juli 1994 „federführend“ bei dem Scheingeschäft gewesen sei.
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